Traktoren auf Feld
Reuters/ Peter Jones
Reuters/ Peter Jones
Wirtschaft

„Plündererökonomie“: Wirtschaftsethiker gibt Papst recht

Die Art und Weise, wie gegenwärtig global gewirtschaftet wird, bezeichnet der Grazer Wirtschaftsethiker Bernhard Ungericht als „Plündererökonomie“. Insofern gibt er Papst Franziskus recht, der immer wieder davon spricht, dass „diese Wirtschaft tötet“.

Im Interview mit der Kooperationsredaktion österreichischer Kirchenzeitungen plädierte der Autor des Buches „Immer-mehr und Nie-genug! Eine kurze Geschichte der Ökonomie der Maßlosigkeit“ (2021) für eine grundlegende Neuausrichtung der Ökonomie und einen auf Maßhalten ausgerichteten Lebensstil. Das umzusetzen sei schwierig, aber machbar, so Ungericht: „Wir dürfen uns nur nicht einreden lassen, dass es wegen Sachzwängen und internationaler Wettbewerbsfähigkeit unmöglich scheint.“

Der Professor für Wirtschaftsethik und betriebliches Verantwortungsmanagement an der Karl-Franzens-Universität Graz wandte sich gegen das seiner Überzeugung nach mehrfach gescheiterte „Dogma“ vom ewigen Fortschritt auf Basis von permanentem Wirtschaftswachstum. Dieses Modell von industrieller Zivilisation sei erstens ökonomisch gescheitert, „weil es auf Raubbau beruht“ und nichts anderes als eine „Plündererökonomie“ darstelle.

Modell ökonomisch und moralisch gescheitert

Zweitens sei es moralisch gescheitert, weil trotz noch nie dagewesener Produktivität und extremem Ressourcenverbrauch kein menschenwürdiges Leben für alle garantiert sei. Und drittens ist es laut Ungericht „auch spirituell gescheitert, weil nicht die Achtung und Bewahrung des Lebendigen im Mittelpunkt der Schöpfung steht, sondern die Ausbeutung und die Verwandlung in Totes“.

Der Wirtschaftsethiker verwies auf eine Untersuchung des israelischen Weizmann-Instituts für Wissenschaft, wonach im Jahre 2020 erstmals alle von Menschen gemachten Artefakte wie Häuser, Maschinen, Plastik, Straßen, Bücher, Waffen usw. die Biomasse überstiegen.

Maßlosigkeit das Problem

„Im Jahr 1900 lag die tote Masse noch bei 3 Prozent der lebendigen Biomasse, mittlerweile sind wir bei über 50 Prozent“, sagte Ungericht. Wenn das Tote, das aus Wäldern, Böden, Meeren entnommen wird, mehr wird, dann müsse auf einem endlichen Planeten das Lebendige notgedrungen schrumpfen.

Mit dem Papst ist sich der Experte darin einig, dass die Wurzel des Problems in der Maßlosigkeit des derzeit expansionistischen Wirtschaftssystems liege. Alles müsse immer mehr werden, nichts scheine genug zu sein, verwies Ungericht auf Produktivitätskriterien wie Fleisch-Ertrag pro Schwein oder Hektar-Ertrag pro Grund und Boden.

Kriege um natürliche Ressourcen drohen

Ressourcenverknappung, Klimaveränderung, Verschlechterung von lebenserhaltenden Systemen wie fruchtbarer Boden, Trinkwasser, Artenvielfalt seien kennzeichnend für den Status quo. In der Pandemie habe sich gezeigt, dass auch Versorgungssicherheit durch die instabilen internationalen Produktions- und Lieferketten nicht gegeben sei. Der Wirtschaftsethiker geht davon aus, dass Kriege um natürliche Ressourcen wie Wasser, Land, Nahrung und Bodenschätze zunehmen werden.

Für die für das Überleben der Menschheit notwendige Umkehr brauche es auf gesellschaftlicher Ebene ein Fundament mit entsprechenden Grundhaltungen: Ungericht nannte „Mitgefühl für sämtliches Leben auf der Erde und Solidarität sowohl mit denen, die heute schlechter gestellt sind als wir, als auch mit den nächsten Generationen, deren zukünftige Lebensgrundlagen wir gerade zerstören“.

Für radikal anderen Lebensstil

Dies sei die Basis für einen radikal geänderte Lebensstil, der eben „nicht auf Kosten anderer geht, der mit einem Planeten auskommt und der global gerecht ist“. Freilich würde das bedeuten, „dass wir in der westlichen Welt unseren Ressourcenverbrauch um bis zu 90 Prozent reduzieren müssten“.

Das sei schwierig anzugehen, „denn unsere gegenwärtige Art zu wirtschaften und zu konsumieren ist tief in gesellschaftliche Strukturen, in Institutionen, in Praktiken, in Gewohnheiten, in Karriereerwartungen, in Vorstellungen von einem guten Leben eingewoben“, gab der Nachhaltigkeitsexperte zu. Dennoch sei ein Paradigmenwechsel möglich in Richtung einer „Kultur der regionalen Selbstversorgungskompetenz, einer Kultur des Maßhaltens und der Genügsamkeit“.

Kirche könnte wichtige Rolle spielen

Der Kirche traut Ungericht dabei eine wichtige Rolle zu. „Seelenheil und Wohlbefinden hängen nicht von einem permanent steigenden materiellen Wohlstand ab.“ Dies könne die Kirche als geistiges und spirituelles Zentrum vermitteln und die Stimme erheben für ein verantwortungsvolles Wirtschaften, „auch wenn es unbequem ist“. Ansatzpunkte zur Bewahrung der Schöpfung wie etwa das Gebot „Du sollst nicht töten“ gebe es in der christlichen Tradition durchaus, so der Experte.

Bernhard Ungericht ist einer der Vortragenden am 11. Jänner bei der Österreichischen Pastoraltagung in Salzburg zum Thema „Gutes Leben. Verantwortungsvolles Wirtschaften“. Am ersten Tag sprechen außerdem der neue Direktor des Instituts für Höhere Studien Wien, Holger Bonin, der tschechische Ökonom Tomas Sedlacek und die Linzer Theologin Katja Winkler.