Symbolbild Armut, Geldbörse
APA/dpa/Friso Gentsch
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Österreich

Caritas: „Explodierende“ Armut muss Weckruf sein

Die am Donnerstag veröffentlichten Zahlen zur Armut in Österreich würden bestätigen, „worauf die Caritas seit Jahren hinweist“: Trotz zahlreicher Soforthilfen verschärfe sich die Lage für armutsbetroffene Menschen – speziell für Kinder, Alleinerziehende und Arbeitslose.

Nora Tödtling-Musenbichler, Präsidentin der Caritas Österreich, erachtet es als „Weckruf für die Politik“, dass die absolute Armut in Österreich geradezu „explodiert“. Für Betroffene werde die Lage immer dramatischer. „Auch wenn in Österreich niemand verhungert oder erfriert, es gibt immer mehr Menschen, die hungern und frieren oder ihre Wohnungskosten nicht mehr tragen können – mitten unter uns“, sagte Tödtling-Musenbichler. Die Daten zeigten: „Es ist höchste Zeit für eine Sozialstaatsreform!“

Im Jahr 2023 habe die Caritas bei ihren Sozialberatungsstellen einen Anstieg von mehr als einem Drittel an Kontakten verzeichnet – und die am Donnerstag von der Statistik Austria vorgelegten aktuellen Zahlen über Armut und soziale Deprivation in Österreich bestätigten diese Entwicklung.

Um 130.000 mehr Arme als 2022

Die zuletzt 336.000 absolut armen Menschen in Österreich seien um 130.000 mehr als noch im Jahr 2022. Tödtling-Musenbichler forderte politisches Gegensteuern. Denn die bisherigen Maßnahmen hätten Menschen nicht vor Armut bewahrt – „das Gegenteil ist der Fall!“ Die „massiven Lücken“ im Sozialsystem müssten geschlossen werden.

Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenblicher
APA/Robert Jaeger
Caritas-Präsidentin Tödtling-Musenbichler

Besonders dramatisch sei der Anstieg von absoluter Armut bei Heranwachsenden, die sich mit 88.000 betroffenen Kinder mehr als verdoppelt habe. Für die Caritas-Chefin „ein Skandal“. Als Sofortmaßnahme müsse der Zuschlag von 60 Euro pro Familie und Kind für vulnerable Gruppen sofort unbefristet verlängert werden. Dazu brauche es strukturelle und präventive Maßnahmen – „Stichwort Bildung, Stichwort Gesundheit“.

Caritas sieht drei Hebel

Viele der im Zuge der Teuerung beschlossenen Unterstützungen laufen mit Ende 2024 aus, wies Tödtling-Musenbichler hin. Die Caritas habe in den letzten Monaten immer wieder darauf hingewiesen, dass im Bereich des Arbeitslosengeldes, der Notstandshilfe, der Sozialhilfe und Ausgleichszulage dringend Maßnahmen zu setzen sind.

Tödtling-Musenbichler nannte drei Ansatzpunkte: Erstens müsse die Ausgleichszulage schnellstmöglich auf die Höhe der Armutsgefährdungsschwelle angehoben werden – als „ein wirksamer Hebel, um vielen Menschen schnell zu helfen“. Zweitens brauche es im Bereich des Arbeitslosengeldes eine Erhöhung der Nettoersatzquote und eine Valorisierung der Notstandshilfe.

Und drittens sei die Reform der Sozialhilfe bzw. die Einführung einer neuen Grundsicherung notwendig, die einheitliche Mindeststandards definiert und sich am konkreten Bedarf der Armutsbetroffenen orientiert. Tödtling-Musenbichler nahm Bund und Ländern für eine echte Sozialstaatsreform in die Pflicht: „Es ist definitiv keine Frage des Könnens, sondern eine Frage des Wollens.“

Auch Diakonie und Armutskonferenz urgieren

Auch die Diakonie Österreich und die Armutskonferenz verbanden am Donnerstag die Armutszahlen 2023 mit Forderungen nach einer wirksameren Armutsbekämpfung verbunden. Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser urgierte die Wiedereinführung von „Mindeststandards, die Familien in Not und Krisen wirklich helfen“. Die Armutskonferenz sieht die neuen Daten als Anstoß, vorhandene Stärken des Sozialstaats zu erhöhen und Schwächen zu korrigieren. Besonders betroffen sind laut beiden Organisationen Kinder und Alleinerzieherinnen-Haushalte.