Hymnar aus dem Frauenstift Klosterneuburg, Ausstellung „Wir Schwestern – die vergessenen Chorfrauen von Klosterneuburg“, im Stift Klosterneuburg
Stift Klosterneuburg
Stift Klosterneuburg
Ausstellung

Klosterneuburgs vergessene Chorfrauen

Über vier Jahrhunderte (1133–1568) existierte im niederösterreichischen Stift Klosterneuburg eine Gemeinschaft von Augustiner-Chorfrauen. Dem Leben und der Arbeit dieser weitgehend vergessenen Frauen widmet das Stift seine Jahresausstellung. Hier kann man die Frauen sogar singen hören.

Damit folgt das Stift einem weltweiten Trend: Seit Jahren sprießen Austellungen, Buchneuerscheinungen und vieles an Forschung über „vergessene“ Frauen in unterschiedlichsten Bereichen aus dem Boden. Eva Schlotheuber, einer der Kuratorinnen von „Wir Schwestern“, legte 2023 zusammen mit Henrike Lähnemann ein viel gelobtes Buch über „Die unerhörten Nonnen des Mittelalters“ vor, das Ordensfrauen deutscher Klöster zum Thema hat.

Klosterneuburg war wohl von Anfang an als Doppelkloster konzipiert: 1114 wählte Markgraf Leopold III. es als seinen Herrschaftssitz und gründete gemeinsam mit seiner wohlhabenden und einflussreichen Frau, Markgräfin Agnes von Waiblingen aus dem Geschlecht der Salier, einige Jahre später das Stift – als Männer- und Frauenkloster, wie das im zwölften Jahrhundert nicht unüblich war.

Ausstellung „Wir Schwestern – die vergessenen Chorfrauen von Klosterneuburg“, im Stift Klosterneuburg
Stift Klosterneuburg
Die Jahresausstellung des Stifts Klosterneuburg widmet sich den kaum bekannten Chorfrauen

Rund 30 Chorfrauen im Stift

1261 wurde es um das Frauenstift Sankt Jakob in Klosterneuburg erweitert, wo Klausurnonnen lebten. In Klosterneuburg selbst dürften jeweils um die 30 Chorfrauen gelebt haben, sagte Kuratorin Christina Jackel bei einer Führung gegenüber religion.ORF.at. Von anderen Ordensfrauen unterschieden sich die nach den Augustinerregeln lebenden Chorfrauen dadurch, dass sie im Sinne einer „vita activa“ der Seelsorge zugewandt sein sollten.

Im Frauenkloster wohnten außerdem Mädchen und Frauen, die keine Gelübde abgelegt hatten, etwa Witwen, die nach dem Tod ihrer Ehemänner über ihren Besitz verfügen konnten und ihren Lebensabend im Stift verbringen wollten. Dazu kamen noch zahlreiche Laienschwestern und Bedienstete, die ebenfalls im Kloster wohnten.

Weitgehend selbstständige Frauengemeinschaft

Zwar stand der Propst der Männergemeinschaft auch über der Meisterin (Magistra) der Frauengemeinschaft, die Chorfrauen führten aber das Tagesgeschäft selbstständig, wovon zahlreiche Dokumente künden, die in der Ausstellung zu sehen sind. Die Chorfrauen betrieben ein Spital für Arme und Kranke. Im Frauenstift wurden Mädchen ab dem Alter von fünf Jahren unterrichtet – für diese eine rare Chance in einer Zeit, da Schulen und Universitäten für Frauen verschlossen waren, an eine höhere Bildung zu gelangen.

Gemälde "Klostervisitation durch den Heiligen Korbinian, ca. 1490, Ausstellung „Wir Schwestern“ im Stift Klosterneuburg
ORF/Johanna Grillmayer
Gemälde „Klostervisitation durch den Heiligen Korbinian“, ca. 1490

Diese sei nicht etwa den Töchtern reicher Familien vorbehalten gewesen, erzählte Jackel – die penibel geführten, gut erhaltenen Rechnungsbücher geben Aufschluss darüber, dass Mädchen sämtlicher Schichten unterrichtet wurden; das Schulgeld war an die Einkommen der Familien angepasst. Unterwiesen wurden die Mädchen in Latein, Theologie, Musik und Handarbeiten.

Schreibarbeiten „auf hohem Niveau“

Die „hohe Literazität“ der Frauen und die „Ausführung von Schreibarbeiten auf hohem Niveau“ (wozu auch Kompositionen gehörten) führten, so der Ausstellungskatalog, zur Einrichtung einer eigenen Bibliothek. Wie umfangreich diese war, liegt wie so vieles über das Leben dieser Frauen im Dunkeln. Im Grunde weiß man nicht einmal genau, wem die Frauenkirche geweiht war – möglicherweise hat das Patrozinium (die Weihe) von der Jungfrau Maria irgendwann zur heiligen Maria Magdalena gewechselt. Dass Letztere neben anderen Heiligen in Klosterneuburg stark verehrt wurde, steht außer Frage.

„Ursulaköpferl“, Stift Klosterneuburg
ORF/Johanna Grillmayer
„Ursulaköpferl“

„Ursulaköpferl“ und strenge Regeln

Die Schau zeigt in diesem Zusammenhang einige interessante, mehr illustrative Objekte, die zwar nicht direkt mit den Chorfrauen zu tun haben, aber eine gute Ergänzung darstellen. Ein Blickfang, wenn auch ein makabrer, sind die „Ursulaköpferl“, prachtvoll verzierte Totenschädel, die einigen der elftausend als Märtyrerinnen verehrten Jungfrauen gehört haben sollen, Frauen, die der Legende nach im 4. Jahrhundert gemeinsam mit der heiligen Ursula von Heiden ermordet wurden.

Ausstellungshinweis

„Wir Schwestern. Die vergessenen Frauen von Klosterneuburg“, 1. Mai bis 15. November 2024, täglich 9.00 bis 18.00 Uhr, Stift Klosterneuburg

Der Unterricht war neben den Einkünften aus den Gütern, die die Frauen beim Eintritt in das Stift mitbrachten, und dem Weinbau eine wichtige Einnahmequelle. Das Geld, das die Frauen mit Unterrichten und anderen Tätigkeiten verdienten, durften sie nicht behalten. Privatbesitz war stark eingeschränkt, die Zuteilung von Nahrungsmitteln, Kleidung und Dingen des täglichen Bedarfs oblag der Meisterin. Die heute streng anmutenden Regeln der Gemeinschaft kann man sich im Deutsch der damaligen Zeit in der Ausstellung als Audiofile anhören.

Die Ausstellung weiß auch ganz Konkretes über das Leben der Chorfrauen zu berichten: Etwa, was es zu essen gab – viel Fleisch, außer an den Fastentagen, zu denen Fisch gegessen wurde, dazu Gemüse, Getreide, Nüsse, Rüben und Kohl – und welche Feste gefeiert wurden.

Attraktiver Lebensentwurf

Trotz der vielen Regeln sei das Leben im Kloster ein durchaus attraktiver Lebensentwurf gewesen, so Kuratorin Jackel: So manche Frau mag es einer arrangierten Ehe mit den häufig zahlreichen Geburten vorgezogen haben. Und auch für die Familien der Frauen sei es „prestigeträchtig“ gewesen, eine Tochter, Schwester oder Mutter im Kloster zu wissen, die dort nicht nur die wichtige Arbeit der „memoria“, Gebete für das Wohlergehen der Familie und der Gemeinschaft, sondern auch eine Vielzahl anderer Tätigkeiten verrichteten, darunter auch Krankenpflege. Durch die enge Verbindung zu den Herkunftsfamilien hatten die Frauen auch eine wichtige Netzwerkfunktion.

Im Zentrum des zwischen Arbeit und Gebet strikt durchgetakteten Lebens der Chorfrauen standen Liturgie und Chorgesang. Da die Gesänge „sehr anspruchsvoll“ gewesen seien, mussten die Frauen auch „die Notation lernen, das Latein und was die Gesänge bedeuten in der Kommunikation mit Gott“, so der Ausstellungskatalog.

In der Schneiderei des Stifts Klosterneuburg nachgeschneidertes mittelalterliches Frauenormat, Ausstellung „Wir Schwestern“ im Stift Klosterneuburg
ORF/Johanna Grillmayer
In der Schneiderei des Stifts Klosterneuburg nachgeschneidertes mittelalterliches Frauenornat

Dass diese Musik nicht nur erhalten geblieben, sondern tatsächlich auch zu hören ist, gehört zu den großen Momenten der Ausstellung „Wir Schwestern“: Denn gleichzeitig mit der Konzeption der Schau wurden die Musikstücke, die von den Klosterneuburger Chorfrauen vorgetragen worden waren, im Zuge eines Projekts der Universität Wien eingesungen.

Gesänge der „vergessenen“ Augustiner-Chorfrauen

In der Ausstellung sind also die Gesänge der „vergessenen“ Augustiner-Chorfrauen zu hören. Entstanden sind die Aufnahmen durch die Choralforschung zu den Handschriften aus Klosterneuburg, sie wurden durch die Choralschola für Kirchenmusik am Institut der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien unter der Leitung von Antanina Kalechyts eingesungen.

1568 starb mit Apollonia Katzler die letzte Meisterin der Chorfrauen-Gemeinschaft, die danach aufgelöst wurde. Die Chorfrauenkirche St. Magdalena auf dem Stiftsplatz wurde im 14. Jahrhundert umgebaut, stand aber nach dem Tod der letzten Chorfrau leer. 1722 wurde sie säkularisiert (entweiht) und in zwei Geschoße unterteilt, das Gebäude diente danach als Presshaus. Viel ist nicht übrig von der florierenden Frauengemeinschaft, die über 400 Jahre in Klosterneuburg bestand – dennoch ist dem Stift mit „Wir Schwestern“ eine ebenso sehens- wie hörenswerte Schau gelungen.