Deutschland

Taylor-Swift-Gottesdienste in Heidelberg ausgebucht

Am Sonntag ist es so weit: In der evangelischen Heiliggeistkirche in Heidelberg in Deutschland finden zwei Taylor-Swift-Gottesdienste statt. Laut Veranstalter und Pfarrer Vincenzo Petracca sind beide Events bereits ausgebucht.

„Wir haben über 1.000 Anmeldungen. Es ist wirklich verrückt, es ist wie Heiligabend“, schwärmt Petracca gegenüber den lokalen Medien. Dabei wird die US-amerikanische Singer-Songwriterin, die gerade mit dem neuen Album „The Tortured Poets Department“ wie gewohnt die Charts und Streaming-Dienste erobert, aber nicht leibhaftig anwesend sein. Ihre Songs werden von einer Live-Band interpretiert; ihr Leben und ihre Texte werden christlich gedeutet, wie Petracca erläutert.

Es ist nicht das erste Mal, dass der 60-jährige Pfarrer beim Gottesdienst auf die Kraft der Popkultur setzt. In den vergangenen zehn Jahren gab es in der Reihe „Citykirche Rock ’n’ Roll“ bereits Gottesdienste mit Musik der Beatles, von Madonna, Bob Dylan, Michael Jackson und Leonard Cohen. Religiöse Biografie- und Text-Exegese inklusive. Ein cleverer kirchlicher Anschlussversuch im Zeitalter der offenen Spiritualität?

Säkulares Kollektivritual

Bereits 2007 hob der kanadische Philosoph Charles Taylor in seinem Buch „Das säkulare Zeitalter“ die Ähnlichkeit zwischen traditionellen religiösen Festen und Rockkonzerten hervor. An die Stelle der gemeinschaftsstiftenden Feste der traditionellen „Großverbände“ seien, wie er schreibt, neue Events getreten, welche „Augenblicke der Verschmelzung“ erzeugen können.

US-Sängerin Taylor Swift
APA/AFP/David Gray
US-Sängerin Swift

„Die Angehörigen der Menge, die bei einem Rockfestival jubelt, sind auf ähnliche Weise miteinander verbunden. In diesen Augenblicken der Verschmelzung herrscht große Erregung, die an den Karneval oder einige der großen Kollektivrituale der Vergangenheit erinnert.“

Popkult trifft Kirchenraum

Bei einem Taylor-Swift-Gottesdienst findet demnach, so könnte man ableiten, eine doppelte Verschmelzung statt: der kommerzielle Popkult wird durch einen Repräsentanten eines traditionellen Festanbieters religiös legitimiert, während der herkömmliche Gottesdienst-Raum der Kirche durch die allgegenwärtige Musik und Person des Popstars mit „Erregungs“-Energie aufgeladen wird.

Eigentlich eine naheliegende Fusion: Da die Kirche im postmodernen Zeitalter mit ihren eigenen „Star“-Angeboten in der Breite nur bedingt durchstößt, kann sie sich mithilfe mehr oder weniger religiös inspirierter Kultur-Ikonen leicht an deren Werte-Angeboten einhaken.

Deutungsoffene Songs

Doch was für Werte symbolisiert Taylor Swift? In den Vereinigten Staaten ist darüber ein Streit zwischen liberalen und konservativen Christinnen und Christen entbrannt. Während die einen sie als Ikone für Rechte von Homosexuellen, Geschlechtergerechtigkeit und Gewaltfreiheit verehren, wird sie von den anderen geradezu als heidnische oder sogar „satanische“ Verführungsgestalt eingestuft. Ein Zeichen dafür, dass Taylor Swifts Texte und Statements deutungsoffen sind.

Genau diese Deutungsoffenheit oder Ambivalenz qualifiziert sie vorzüglich als Populär-Ikone, an die sich auch die Kirchen andocken können. Der britische Musikwissenschaftler Rupert Till hat in seinem Buch „Pop Cult: Religion and Popular Music“ (Popkult: Religion und Populäre Musik) bereits am Beispiel von Stars wie Prince gezeigt, dass Deutungsoffenheit für jeden Star von Weltformat eine Grundbedingung für den globalen Massenerfolg ist.

Swift als Ikone

„Die populäre Ikone“, schreibt Till, „wird vom Betrachter, vom Konsumenten oder Fan gefüllt oder bewohnt. Das bedeutet, dass die Fans den Platz einnehmen, der traditionell von einem Gott eingenommen wird, und sich selbst vergöttern.“ Der Fan kann demnach beim Anblick einer populären Ikone, wie bei einem Totem, seine Fantasie und Sehnsüchte auf das Objekt projizieren und sich dadurch selbst stärken.

Pfarrer Vincenzo Petracca wird am Sonntag sicherlich ein bisschen aufpassen, dass der Kult um Taylor Swift und das eigene Ego nicht zu üppig ausfällt – ohne mit Predigtmoral den „Swifties“ ihren spirituellen Spaß zu verderben.