Buchbesprechung

„Judenfetisch“: Eine Frau sucht die jüdische Identität

Mit „Unorthodox“ hat Deborah Feldman einen internationalen Bestseller über ihre Flucht aus einer ultraorthodoxen New Yorker Gemeinde geschrieben. In „Judenfetisch“ reflektiert sie über das heutige Judentum in Deutschland, den Radikalismus in Israel und die eigene jüdische Identität.

„Ich bin Jüdin nur entsprechend der Bezeichnung“, schreibt Feldman – keine Bräuche, keine Kleidungsvorschriften, kein langer Rock, keine Perücke mehr. Dennoch werde sie weiterhin über ihr Jüdischsein definiert, so die Buchautorin und Journalistin in ihrem neuen Buch.

Feldman wuchs in der strengreligiösen chassidischen Satmar-Gemeinde im New Yorker Viertel Williamsburg auf. Ihre Muttersprache ist Jiddisch, die Großeltern, die sie großzogen, sind aus Ungarn stammende Holocaust-Überlebende. Feldman studierte heimlich Literatur. Mit 17 Jahren wurde sie verheiratet. 2014 brach sie aus der chassidischen Gemeinde, von ihr als „Sekte“ bezeichnet, aus und zog mit ihrem Sohn nach Berlin.

Ein Leben nach der „Sekte“

In ihren autobiografischen Büchern – auf „Unorthodox“ (2012), das von Maria Schrader als Miniserie verfilmt wurde, folgte „Überbitten“ (2014) – schilderte Feldman die abgeschottet lebende Satmar-Gemeinschaft, die ihre Mitglieder überaus strengen Regeln unterwirft. In „Judenfetisch“ beschreibt Feldman ihr Leben nach dem Bruch mit den Satmarern.

Die Buchautorin Deborah Feldman
Alexa Vachon
Analysiert den Stellenwert des Judentums in Deutschland: Autorin Deborah Feldman

Persönliche Erfahrung und Zeitkritik

„Diese Zeit, in der ich mein Leben in Frommheit und Entbehrung verbracht habe, ist nicht auszulöschen, sie ist nicht aus meinem Selbst zu tilgen.“ Die Erfahrungen aus der Satmar-Zeit durchdringen alles. Zufällige Begegnungen mit Ultraorthodoxen lösen bei ihr Unbehagen aus: „Ich möchte nicht von denen erkannt werden (…). Ich habe Angst, im Vorbeigehen mit Steinen beworfen zu werden (…)“

Das Buch geht über persönliche Erfahrungen aber weit hinaus. Scharfsichtig und kritisch widmet sie sich einerseits den gegenwärtigen deutschen jüdischen Gruppen und Gemeinden, andererseits erzählt sie von einer Reise nach Israel. Am Rande schildert die Autorin Versuche einiger prominenter Protagonisten des deutschen Judentums, sie für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.

„Judentum ohne Juden“

Generell macht sie sich Gedanken über die Rolle, die das liberale Judentum – dem konservativen bleibt sie fern – in der deutschen Gegenwart spielt und welchen Platz darin die zahlreichen zum Judentum Konvertierten einnehmen. Auch die Vorwürfe des Machtmissbrauchs und der sexualisierten Belästigung am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam kommen in „Judenfetisch“ zur Sprache.

Buchcover „Judenfetisch“ von Deborah Feldman, Luchterhand
Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Muenchen

Buchhinweis

Deborah Feldman: Judenfetisch. Luchterhand, 25,50 Euro, 272 Seiten.

Das Unbehagen seitens „geborener Juden“ (Feldman relativiert solche Kategorisierungen immer wieder und sehr gründlich) an der prominenten Rolle einiger Konvertiten drückt eine Freundin so aus: „Wenn man beobachtet, wie zwanghaft versucht wird, das deutsche Judentum wiederzubeleben, käme man schon zum Schluss, dass diese Deutschen genau das wollen: Judentum ohne Juden.“ Feldman selbst konstatiert: „Nirgendwo in der Welt wird Jüdischsein so intensiv verhandelt wie hier.“

„Nur noch Israel oder Holocaust“

Philosemitismus mit eigennützigen Hintergedanken schwingt hier mit, und immer wieder geht es um die Frage, was das Judentum eigentlich ausmacht: „Wenn es keine Religion mehr gibt, dann gibt es nur noch entweder Israel oder den Holocaust.“ Solche pointierten Bemerkungen könnten in Deutschland für Aufsehen sorgen. Auch zu Israel, das sie mehrmals bereiste, hat Feldman viel Kritisches zu sagen.

Leidenschaftlich teilt sie gegen die „zunehmende Gewalt unter den Orthodoxen“ und deren wachsenden politischen Einfluss aus – und auch gegen die liberalen Jüdinnen und Juden, die sich in den Augen der Autorin zu viel gefallen lassen: „(…) nichts stützt die Religion auf ihrem Weg zur Allmacht so sehr wie die sie tolerierende Irreligiosität (…)“

Säkulare als „kaum geduldete Minderheit“

Die Zukunft Israels malt Feldman in düsteren Farben, und manchmal erinnert ihre Emphase, obwohl angesichts ihrer Erfahrungen in der Vergangenheit überaus verständlich, doch ein wenig an Verschwörungstheorien: Die Gewalt radikaler Strenggläubiger sei „auch eine Performance, eine Ablenkung von dem, was hier eigentlich langsam und zielgerichtet stattfindet: nämlich dem politischen Plan, die demographischen Verhältnisse in der israelischen Bevölkerung so zu verschieben, dass die Säkularen schon bald zur kaum geduldeten Minderheit werden (…).“ Das Ziel sei eine Theokratie.

Das Buch liest sich leicht und gut. Stringenz ist hier weder das Ziel noch unbedingt notwendig, und so vermischen sich einige Male die unterschiedlichen Themenkreise. Obwohl Feldmans Deutsch ausgezeichnet ist, hätte ein wenig mehr Einsatz durch ein Lektorat nicht gestört. Zum recht provokanten Titel erklärt die Autorin: Der Begriff „Judenfetisch“ sei in ihrem Berliner Bekanntenkreis ein gängiger Begriff, „der ein Verhältnis zu einer Projektionsfläche beschreiben soll, mit der sich Deutschland, und viele Deutsche, zwangsläufig und zwanghaft auseinandersetzen, im Guten wie im Schlechten“.