Zwischenruf 1.8.2021, Christian Herret

Schneller, höher, stärker

Der Pädagoge Pierre de Coubertin war überzeugt, dass Sport den Charakter junger Menschen festigt. Angeregt durch die Ausgrabungen der antiken Sportstätten in Griechenland hegte er den Traum, die Olympischen Spiele wiederzubeleben.

Im fairen Wettkampf sollen sich junge Sportbegeisterte aus aller Welt messen. Der Sportevent sollte – so die Idee – dazu beitragen, Nationalismus und Egoismus zu überwinden und zum Frieden, zur internationalen Verständigung beitragen.

Christian Herret
ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit der Dreikönigsaktion

Gekommen, um zu bleiben

Im März 1891 war er Wettkampfleiter bei einem Schülersportfest, welches der Schuldirektor, der Dominikanerpater Henri Didon, unter das Motto „Citius, altius, fortius“ – „schneller, höher, stärker“ stellte. Drei Worte als Ansporn für seine Schützlinge, danach zu trachten, sich stetig zu verbessern, immer sein Bestes zu geben – im Wettkampf wie im Leben.

Coubertin borgte sich den Leitspruch des Dominikaner-Kollegs und machte ihn zum Motto der Olympischen Spiele der Neuzeit. Der Rest ist Geschichte. Olympia ist gekommen, um zu bleiben. Heuer findet das größte Sportfest der Welt in Tokio statt.

Zwischenruf
Sonntag, 1.8.2021, 6.55 Uhr, Ö1

Citius, altius, fortius

Die Spiele sind zu einem Event von gigantischem Ausmaß geworden: In Japan treten 11.300 Athletinnen und Athleten aus 206 Nationen in über 300 Wettkämpfen gegeneinander an. Das „Sportfest für die Jugend“ ist heute ein Riesen-Business. Bei den letzten Spielen in Rio de Janeiro betrug der Gesamt-Etat über 12 Milliarden Euro.

Höher, schneller, stärker – Sensationsgeile Medien und finanzstarke Sponsoren haben die Gier nach Rekorden dermaßen angestachelt, dass viele Athletinnen und Athleten ihre Gesundheit, manche sogar ihr Leben für eine Topleistung aufs Spiel setzen: Bereits 119 Gold-, Silber- und Bronzemedaillen wurden schon wegen nachgewiesenem Doping aberkannt.

Citius, altius, fortius – der brasilianische Fußballstar Neymar verwandelt bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 den entscheidenden Elfmeter gegen Deutschland und sichert das erste olympische Fußball-Gold für die Gastgeber. Neymar wird heuer rund 80 Millionen Euro verdienen.

Neue Kraft aus der Niederlage

Citius, altius, fortius – Es scheint, als ob die ursprüngliche Idee des gemeinsamen großen Sportfestes, der Jagd nach dem Sieg und vor allem nach dem großen Geld, das damit zu machen ist, weichen musste. Ich habe mit Wettkämpfen nie etwas anfangen können. Was bringt es mir, höher zu springen als X, schneller zu sein als Y, oder stärker als Z?

Pater Didon hat selbst noch eine andere Interpretation seines berühmten Leitspruchs geliefert. Er sagt: „Citius, altius, fortius“ ermahnt dazu, unaufhörlich weiterzuarbeiten, niemals aufzugeben und wenn es nicht funktioniert, es immer wieder aus Neue zu versuchen – um „höher, schneller, stärker“ aus einer Niederlage hervorzugehen, aus ihr die Kraft zu schöpfen weiterzumachen, und vielleicht umso erfolgreicher zu sein.

Was für ein schöner Gedanke. Schade, dass Coubertin nicht dabei war, als Pater Didon diese Erklärung für sein Motto geliefert hat. Vielleicht hätten die Olympischen Spiele heute ein menschlicheres Antlitz.