LEBENSKUNST – Begegnungen am Sonntagmorgen 12.9.2021

Das Geheimnis des Gottesknechts

Das Geheimnis des Gottesknechts – Bibelessay zu Jesaja 50, 5-9a | Eine kühne Grenzüberschreitung – Dante und das gute Leben | 20 Jahre danach – 9/11 als Muslimin reflektiert | Göttliches in der Reduktion erfahren – Zeitgenössische Ikonen-Ausstellung „Beyond Divine“

Das Geheimnis des Gottesknechts – Bibelessay zu Jesaja 50, 5-9a

Das Geheimnis des Gottesknechts – Bibelessay zu Jesaja 50, 5-9a

Im alttestamentlichen, nach dem Propheten Jesaja benannten Buch taucht eine rätselhafte Gestalt auf: der sogenannte Gottesknecht, ein Gerechter, der von den Menschen abgelehnt und misshandelt wird. Er wird in vier sogenannten „Gottesknechtliedern“ beschrieben und das dritte „Lied vom Gottesknecht“ ist am Sonntag, 12. September, in katholischen Messen zu hören.

Für den katholischen Theologen und Judaisten Wolfgang Treitler stellt die Gestalt eine große bis heute gültige Gegenfigur da. Sie sei das Gegenteil von Influencern und Selbstinszenierern, die „Allgegenwart und Allwirksamkeit“ erzeugen wollen. Das Geheimnis des Gottesknechtes sei es indes, Gott Gott sein zu lassen und sich nicht selbst zu einem Gott zu machen – und so nicht zu einer Gefahr für andere zu werden.

Eine kühne Grenzüberschreitung – Dante und das gute Leben

Wenige Tage vor dem 700. Todestag des großen italienischen Dichters und Philosophen Dante Alighieri (1265-1321) fragt Irene Klissenbauer, warum die Auseinandersetzung mit Dantes „Göttlicher Komödie“ für ein gutes Leben bedeutsam sein kann.

Antworten findet sie bei der Schriftstellerin und Dante-Spezialistin Sybille Lewitscharoff und beim literaturaffinen katholischen Theologen Jan-Heiner Tück. Eines der großartigsten Langgedichte der Weltgeschichte sei die „Göttliche Komödie“, ein Glanzgewebe der Poesie, das von Himmel und Hölle weiß – und von der Sehnsucht nach einem Leben, das gelingt.

Lesende dieses „sacrato poema“, dieses „heiligen Gedichts“, wie Dante selbst das Werk nannte, können unter anderem den Impuls mitnehmen, das eigene Leben zu reflektieren und sich zu fragen, ob das eigene Schiff gut navigiert ist.

„Dante hat eine kühne Grenzüberschreitung riskiert“, sagt Jan-Heiner Tück, „er hat versucht das, was uns auf der anderen Seite des Todes erwartet, auszugestalten, und er hat das in einer poetischen Sprache getan, die ohnegleichen ist.“

20 Jahre danach – 9/11 als Muslimin reflektiert

Die dramatische Stimmung in New York erlebt, Jahre später zum Islam konvertiert und als Kulturanthropologin in Afghanistan Feldforschung betrieben: Die islamische Theologin und Autorin Katrin Brezansky-Günes spannt 20 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 einen gedanklichen Bogen von den damaligen Ereignissen zu Reaktionen und Empfindungen von Muslim/innen bis heute.

Im Gespräch mit Lise Abid hält sie fest, jeder Mensch könne sich in jedem Moment entscheiden, entweder das Trennende zu sehen und den Anderen zu seinem Feind zu machen oder aber die gemeinsame Essenz zu sehen, „also diese Verletzlichkeit und das daraus resultierende Mitgefühl, das uns als Menschen ja wesenhaft ausmacht“.

Göttliches in der Reduktion erfahren – Zeitgenössische Ikonen-Ausstellung „Beyond Divine“

Was unbegrenzt, unbegreiflich und unerfahrbar ist, lässt sich weder mit Worten noch mit Bildern fassen. Und deshalb suchen Menschen, die Ikonen malen – eigentlich „schreiben“ sie Ikonen, so die theologische Formulierung – seit Jahrhunderten nach einem Weg, Gott oder das Göttliche darzustellen: trotz des Bilderverbots, das sich in Judentum, Christentum und Islam auf Gott bezieht.

„Du sollst dir kein Gottesbild machen“, heißt es im alttestamentlichen Buch Exodus (Ex 20,4). Ein Aus-Weg wurde in dem als Christus verehrten Jesus von Nazareth gefunden, „denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“, ist im neutestamentlichen Kolosserbrief zu lesen (Kol 2,9).

Beyond Divine
ORF/Maria Harmer

Demzufolge lässt sich Gott nicht darstellen, Jesus Christus in seiner menschlichen Gestalt aber schon; ebenso als Heilige verehrte Männer und Frauen. Besonders in der Ostkirche werden Ikonen als Einblicke in eine andere, in eine transzendente Wirklichkeit gelesen, sie sind, so der Maler und Kunsttheoretiker Wassily Kandinsky, „Fenster zur Ewigkeit“.

Eine neue Deutlichkeit mag das durch die zeitgenössischen Ikonen der 1988 in Moskau geborenen Künstlerin Vera Klimentyeva bekommen. Sie hat die figurative Komponente der historischen Vorbilder eliminiert und den Bildinhalt ihrer Ikonen auf einige wenige charakteristische Attribute von Heiligen reduziert.

Da können schon einmal zwei einander zugeneigte rote Kreise auf goldenem Hintergrund eine Ikone sein, derzeit zu sehen in einer Ausstellung in der Wiener Peterskirche. Maria Harmer hat sie besucht und mit der Künstlerin sowie mit Kurator Jan Gustav Fiedler gesprochen.

Redaktion & Moderation: Doris Appel