Zwischenruf 22.10.2023, Regina Polak

Wider den Hass

Am 7. Oktober wurden in Israel an einem Tag so viele Jüdinnen und Juden ermordet, wie seit der Shoa nicht mehr. Auch Migrant:innen und Christ:innen wurden in diesem Pogrom der Hamas zu Opfern.

Der Krieg Israels gegen diesen Terror führt im Gazastreifen zu unzähligen Toten und lässt die UNO und Menschenrechts-Organisationen vor einer humanitären Katastrophe warnen. Die Hamas hat nun zur weltweiten Gewalt gegen Jüdinnen und Juden aufgerufen. Sie sind weltweit in Gefahr. Wie viele Menschen in Österreich, bin ich erschüttert über diese Situation und das Leid jedes einzelnen Menschen.

Regina Polak
ist katholische Theologin, Religionssoziologin und Antisemitismusforscherin

Auch ein Blick in die sozialen Medien lässt mich erschrecken. Als Wissenschaftlerin erkenne ich in zu vielen Postings einen Antisemitismus, der sich auch gegen Israel richtet. Der Hass, der mir begegnet, zielt aber auch auf „die Muslime“ und „den“ Islam. Und ich sehe Kommentare, die die Massaker an den Jüd:innen bzw. die palästinensischen Kriegsopfer zur Rechtfertigung ihrer politischen Interessen benützen.

Abstufungen des Bösen unterscheiden

Schwierigkeiten habe ich manchmal auch mit dem österreichischen Wunsch nach Ausgewogenheit. Dieser ist in friedlicheren Zeiten eine Stärke. Aber angesichts des Terrors kann er die Fähigkeit zu einem gerechten politischen Urteil beeinträchtigen. Der israelische Autor Amos Oz stellte fest: Wer nicht zwischen Abstufungen des Bösen unterscheidet, macht sich zu dessen Komplizen. Wenn ich also Aussagen lese, die den Terror der Hamas mit dem Krieg des Staates Israel gegen die Hamas gleichsetzen, bekomme ich Angst um jüdische Bürgerinnen und Bürger. Denn diese Gleichsetzung rechtfertigt implizit Terror gegen Juden.

Viele dieser Reaktionen liegen, wie ich glaube, auch daran, dass man hierzulande seit dem Nationalsozialismus nicht mehr mit einer derartig monströsen Bösartigkeit gegen Juden konfrontiert war. Auch das Leiden und Sterben von palästinensischen Zivilisten im Krieg in Gaza ist unerträglich. Ich glaube, dass die Ohnmacht und Ratlosigkeit, die daraus resultieren, eine zentrale Quelle vieler Konflikte sind, die in aktuellen Debatten zur Situation im Nahen Osten sogar zwischen Freunden ausbrechen. Diese Konflikte belasten mich sehr, denn sie bedrohen auch den sozialen Frieden hierzulande.

Auf die Sprache achten

Zwischenruf
Sonntag, 22.10.2023, 6.55 Uhr, Ö1

Was tun? In Österreich könnte man zum Beispiel auf seine Sprache achten. So wie es „den“ Islam nicht gibt, gibt es „das Judentum“ nicht; so wie es „den Juden“ nicht gibt, gibt es „den“ Muslim nicht. Ich kenne Jüdinnen und Juden in Israel und Österreich – religiöse und säkulare –, die sich für eine kooperative Lösung mit den Palästinensern engagieren und lese von rechtsextremen Juden in Israel. Ich kenne Muslime, die in Österreich solidarisch an der Seite der jüdischen Gemeinde stehen; sehe aber in den Kommentaren auf Facebook auch die, die das Massaker feiern. Auch unterstützen nicht alle Palästinenser die Hamas.

Ich kenne Initiativen, die um Versöhnung ringen. Mein Bemühen um sprachliche Unterscheidung wird wenig zur politischen Lösung des Kriegs im Nahen Osten beitragen. Aber die Zivilgesellschaft kann so wenigstens hierzulande die Polarisierung bremsen, zur Abrüstung in den Köpfen beitragen und vom Staat einfordern, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen jene vorzugehen, die zu Hass und Gewalt aufrufen.