Zwischenruf 29.10.2023, Milena Heussler

Über Feen, Hexen und Dämonen

„Allerheiligen, 1. November – Heute nimmt das Erzählen seinen Anfang.“

So leitet die Schriftstellerin Antonia S. Byatt im Roman „Besessen“ ihre Schilderung von dem früher üblichen nordfranzösisch-bretonischen Brauch ein, in der Zeit ab dem 1. November bis Weihnachten jeden Tag zusammenzukommen und gemeinsam Geschichten über übernatürliche Wesen zu lauschen. Geschichten von Hexen, Feen und Geistern.

Milena Heussler
ist evangelische Theologin

Begegnung mit dem „Anderen“

Die Zeit rund um den 31. Oktober und 1. November ist im europäischen Kulturraum historisch schon sehr lang von solchen Wesen bevölkert, die vermittelnd stehen zwischen einer Welt da drüben und unserer Welt hier: vom altirischen Neujahrsfest am 1. November, an dem man lieber zu Hause bleiben sollte, um nicht den Feen zu begegnen bis hin zu den Verkleidungen von Kindern als Gespenster oder Monsterwesen zu Halloween. Und auch die Heiligen, derer am 1. November gedacht wird, stehen letztlich in einer solchen Tradition des Vermittelns zwischen einem jenseitigen Gott und den diesseitigen Menschen.

In den Kulturwissenschaften beschäftigt sich die sogenannte „Monster Theorie“ seit einigen Jahrzehnten mit diesen übernatürlichen Wesen. In diesen Geschichten vom Unheimlichen, so ist diese Perspektive überzeugt, begegnen wir aber nie nur einer Fantasie, sondern immer letztlich uns selbst: Diese Wesen sagen etwas aus über unsere tiefsten Ängste. Sie erzählen mit der Hilfe von Gespenstern etwas über unsere Furcht vor unserer Sterblichkeit, mit Bildern von Monstern etwas über die Sorge um unseren verletzlichen Körper, dem verheerende Verwundungen zugefügt werden können, und historisch mithilfe der Vorstellung von der sogenannten „Hexe“ etwas von einer Angst vor einer unbekannten, mythisch verzerrten und verfemten Weiblichkeit.

Zwischenruf
Sonntag, 29.10.2023, 6.55 Uhr, Ö1

Geschichten vom Anders-Sein

Die Zeit rund um Halloween und Allerheiligen ist also eine, in der das Andere greifbar werden kann. Auch für mich wurde als Kind an diesen Tagen greifbar, dass ich ebenso in einer Reihe von Anderen stehe, die vor mir waren und nicht mehr sind: Zwar evangelisch – wo diese Praxis nicht so üblich ist – fand ich mich aus Wien stammend am 1. November stets am Friedhof bei den Gräbern meiner Familie ein. Und an diesen Tagen verwandelte sich der für mich sonst etwas unheimliche Ort des Friedhofs zu einem Platz der Lebenden, wenn durch die Geschichten meiner Eltern die Namen auf den Steinen mit realen Menschen und ihren Schicksalen verbunden wurden. Und es überkam mich auch ein gewisser Schauer, wenn ich zum Beispiel realisierte, dass dieser entfernte Cousin nicht viel älter war als ich, als er vor vielen Jahren verstarb. Ein Schauer, der mir etwas über mich selbst erzählt, über meine eigene Sterblichkeit.

Halloween und Allerheiligen – es sind Tage, an denen ein Zusammenkommen mit dem Anderen möglich wird. Und vor allem wir als Protestantinnen und Protestanten, die am 31. Oktober den Reformationstag feiern und so lange zu diesen „Anderen“ in Österreich gehört haben, wissen, wie wichtig es ist, dass diese Geschichten vom Anders-Sein neu erzählt werden können.