Zwischenruf 5.11.2023, Marco Uschmann

Wenn man einfach ratlos ist

Der Nahost-Konflikt mit all seinen Parteien, Opfern und Tätern ist für mich nicht mehr zu verstehen. Wenn ich Berichte lese von dem so blutigen Terroranschlag in Israel, dann bin ich fassungslos und entsetzt von all der Gewalt und dem Gräuel. Wenn ich Bilder sehe von Opfern im Gaza-Streifen, von zerbombten Straßen und Häusern, bricht es mir fast das Herz.

Es geht um Gebiete, auf die zwei Völker Anspruch erheben. Auf beiden Seiten gibt es Menschen, die sachlich und gewaltfrei argumentieren, was es damit auf sich hat. Beide Argumentationsweisen haben für mich etwas Logisches. Es scheint mir, als haben alle Recht – aber wem nützt das? Und was könnte überhaupt nützen und zu einem Ausweg führen?

Marco Uschmann
ist Pfarrer für Öffentlichkeitsarbeit in der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich

Die Hilflosigkeit in Wort fassen

Und täglich erreichen mich neue Meldungen, die mich hoffen lassen – wenn etwa die Hilfsorganisationen Roter Halbmond und Roter Davidstern zusammenarbeiten. Oder, die meine Angst wachsen lassen. Wenn andere Staaten der Region warnen und den Konflikt anheizen. Wer hat Recht und wer hat Schuld? Die Antworten hierauf gehen – je nachdem, wen man fragt – weit auseinander. Selbstverständlich habe auch ich keine Lösung, so wie wohl niemand eine Lösung aus dem Hut zaubern kann.

Ich glaube, es würde helfen, die Hilflosigkeit in Worte zu fassen, sich eingestehen – mit anderen – dass man keinen Rat weiß, das empfinde ich schon als einen ersten Schritt. Dieser Schritt mag sich klein anhören, aber jeder Weg beginnt mit dem berühmten ersten Schritt. Und wenn ich weiterdenke, dann fallen mir die interreligiösen Gebete ein, die zumindest in Österreich gute Tradition haben.

Zwischenruf
Sonntag, 5.11.2023, 6.55 Uhr, Ö1

In Krisenzeiten können Gebete durchaus helfen. Das mag sich naiv anhören, ist es aber für mich nicht. Denn sich an Gott zu wenden, ist aus religiöser Sicht niemals naiv. Sondern immer hilfreich: Der Mensch wird still, wendet sich zunächst weg von sich hin zu Gott. Ratlosigkeit und Hilflosigkeit vor Gott zu bringen kann hier zu einer Stütze werden, die trägt. Und das Gespräch mit Gott macht auch demütig. Ein altmodisches Wort, aber wenn es um Rat und Hilfe geht, dann kann Demut ein guter Ratgeber sein. Denn sie setzt Einsicht voraus, dass man eben des Rates und der Hilfe bedarf. Das ist weit entfernt von Aggression und Wut. So kann das Gebet einen Weg hinaus weisen aus diesem scheinbar endlosen Kampf, bei dem niemand eine Lösung weiß.

Wert des Friedens

Und vielleicht wäre es ja ein konstruktiver Schritt, wenn sich die Menschen guten Willens auf allen Seiten einmal die eigene Ratlosigkeit eingestehen könnten. Und damit einhergehend auch ihre Hilflosigkeit, verbunden mit dem Eingeständnis, wie wichtig eine nachhaltige Lösung ist. Denn der ungelöste Konflikt hat auf beiden Seiten viel zu viele Menschenleben gekostet und unendlichen Schmerz verursacht.

Was würde es der Region bringen, wenn es keine Gewalt gäbe, sondern Frieden? Wieviel Geld, das jetzt für Rüstung investiert wird, würde für Schulen, für Brunnen, für Wiederaufbau zur Verfügung stehen? Oder, weitergedacht, für Bildung und Forschung? Vielleicht sind das naive Fragen. Aber sie haben im Zentrum den Wert des Friedens. Und vielleicht darf gerade jemand wie ich, der sich in der Nahostpolitik nicht wirklich auskennt, solche Fragen stellen. Denn, so heißt es, es gibt keine dummen Fragen. Allenfalls dumme Antworten. Aber Frieden ist niemals eine dumme Antwort. Sondern etwas, das um Gottes und der Menschen willen sein soll. Und dieser Wert kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn Frieden ist etwas, das – so sieht es nicht nur die Bibel – um Gottes und der Menschen willen sein soll.