Zwischenruf 17.12.2023, Christian Herret

Die Heiligen Drei Königinnen von Nairobi

„Hat dir das Essen geschmeckt?“ – „Es war vorzüglich“, antworte ich, und dass ich keinen einzigen Bissen mehr hinunterbekomme.

„Ich rede nicht mit dir, ich spreche mit dem Hund“, erwidert Sister Barbara. Ich weiß nicht, ob sie mich drangekriegt hat, oder es ihr Ernst war. Bei Sister Barbara weiß man das nie. Sie und ihre beiden Mitbewohnerinnen, Sister Kathy und Sister Mary, eint ein herzlicher, aber herber Humor. Wie man das in Wien so schön sagt: Der Schmäh rennt in der WG der Ordensfrauen.

Christian Herret
ist Mitarbeiter der Dreikönigsaktion der katholischen Jungschar

In den Slums von Nairobi

Ich durfte dem Trio eine Woche bei seiner Arbeit über die Schulter schauen. Von Tagesanbruch bis spät in die Nacht waren wir unterwegs. Dort, wo sie Tag für Tag seit vielen Jahren wirken: in den Slums von Nairobi. Vor vielen Jahren sind sie aus Irland in Kenias Hauptstadt gekommen, um zu bleiben. Und um etwas zu verändern, um der Armut den Kampf anzusagen.

Die drei „Barmherzigen Schwestern“ entsprechen so gar nicht dem Klischee von Ordensfrauen. Sie sind nicht fromm, beten nicht den ganzen Tag und leben nicht wie Schwestern in Rosamund Pilcher Filmen ruhig und abgeschiedenen hinter Klostermauern. Ganz im Gegenteil. Je lauter und je rauer, desto lieber. Die drei Powerfrauen stehen jeden Tag aufs Neue ihre Frau – und das in einer Umgebung, die mich in kürzester Zeit zum Aufgeben bringen würde.

Zwischenruf
Sonntag, 17.12.2023, 6.55 Uhr, Ö1

Von Krippe zu Krippe

Zwei Millionen Menschen leben in den Armenvierteln von Nairobi. So viele wie in ganz Wien. Gefangen in einem Sumpf aus Not und Elend, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt. Für mich als Fremden oft eine Aneinanderreihung hoffnungsloser Situationen. Für die Drei Powerfrauen Motivation, noch härter anzupacken. Seit mehreren Jahrzehnten stemmt sich das Trio mit scheinbar endloser Energie gegen Korruption und Misswirtschaft in der kenianischen Hauptstadt, hat Schulen und Lehrwerkstätten inmitten der Armenviertel errichtet und damit Zehntausende junge Menschen vor Verbrechen, Gewalt und Hunger bewahrt.

Wenn du mit ihnen durch die Slums gehst, scheint jeder sie zu kennen. Die Menschen erzählen mir, wie ihnen die Schwestern geholfen haben. Wenn die drei Schwestern erzählen, klingt das anders, sie erzählen Geschichten vom Scheitern, von Rückschlägen, von persönlichen Dramen. Sie erzählen von Schützlingen, die sie mit viel Herzblut sprichwörtlich aus dem Sumpf von Drogen und Verbrechen gerettet haben, und die von einem Tag auf den anderen rückfällig wurden. Und wie diese ein, zwei Jahre später wieder vor ihrer Tür standen – und diese ihnen wieder offenstand.

Die Woche hindurch beschäftigt mich vor allem eine Frage: Wo nehmen diese älteren Frauen nur ihre Motivation, ihre Energie, ihre Zuversicht her? Für mich sind sie so etwas wie die Heiligen Drei Königinnen von Nairobi. Sie sind auf einer nie enden wollenden Reise. Ihr Stern führt sie jeden Tag aufs Neue zu einem anderen Stall, zu einer anderen Krippe. Und dort finden sie in jedem Straßenkind, in jedem Drogensüchtigen, in jeder minderjährigen Mutter, die nicht weiß, wie sie ihr Kind durch die nächste Woche bringen soll, das Jesuskind.