Zwischenruf 7.1.2024, Martin Lintner

Eine sehr persönliche Nachlese zum Dreikönigsfest

An den Dom von Brixen grenzt ein romanischer Kreuzgang an. Um diese Jahreszeit bläst oft ein kalter Wind durch die alten Gemäuer. Mein Blick streift über die mittelalterlichen Fresken, mit denen die Arkadenbögen kunstvoll ausgemalt sind. Viele haben die Menschwerdung und die Auferstehung des Jesus von Nazareth zum Inhalt.

Vor einer Malerei an der Ostwand bleibe ich stehen. Sie ist ein beliebtes Fotomotiv und wird gerne auf Ansichtskarten abgedruckt. Die Szene zeigt die Anbetung des Jesuskindes durch die Heiligen Drei Könige. An der entsprechenden Stelle im Matthäusevangelium (vgl. Kapitel 2,1–12) ist die Rede von Weisen aus dem Morgenland, die einem Stern folgen. In Bethlehem finden sie eine junge Mutter mit ihrem neugeborenen Kind. In diesem Kind erkennen sie einen König. Sie fallen vor ihm nieder und huldigen ihm.

Martin Lintner
ist Moraltheologe in Brixen

Kniefall der Könige

Die Tradition hat aus den Weisen Könige gemacht. Wünschte man sich, dass Könige – Herrscher und Machthaber – mit der Gabe der Weisheit bedacht sein sollten? Worin könnte diese Weisheit bestehen?

Ich schaue auf das Fresko. Das Jesuskind, das als menschgewordenes Wort Gottes auch die göttliche Weisheit verkörpert, sitzt auf dem Schoß seiner Mutter. Deshalb wird Maria in der christlichen Tradition als Sitz der Weisheit verehrt. Doch sie ist für ihr Kind auch Lehrerin. Gemeinsam mit ihrem Mann Josef wird sie Jesus die alltäglichen Dinge des Lebens zeigen, wird ihre Lebenserfahrung und Weisheit mit ihm teilen. Sie wird ihm ihren jüdischen Glauben vermitteln und erzählen, dass sie an einen Gott glaubt, der die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht (vgl. Lk 1,52).

Weisheit zeigt sich aber auch im Kniefall der Könige. Die Großen und Mächtigen machen sich vor einem Kind klein. Ein Kind ist Ausdruck dafür, dass wir als Menschen von unserer Geburt an auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, um überleben zu können. Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit können leicht missbraucht werden, um andere für die eigenen Interessen verfügbar zu machen.

Zwischenruf
Sonntag, 7.1.2024, 6.55 Uhr, Ö1

Im Kleinen das Große entdecken

Wie anders wäre es doch, wenn wir Menschen, die klein und verwundbar sind, zu Königen, das heißt groß machen würden? Ich denke an die Menschen in der Ukraine, in Israel, im Gazastreifen, in Afghanistan und ich sehe vor mir die Bilder von Kindern, Frauen und älteren Menschen: Wer geht vor ihnen auf die Knie, um ihnen Nähe und Wertschätzung zu zeigen, um ihnen zu helfen und sie aufzurichten? Auf wessen Schoß können sie sich setzen, bei wem finden sie Trost und Geborgenheit?

Mich beginnt zu frösteln. Der kalte Wind reißt mich aus meinen Gedanken. Bevor ich weitergehe, denke ich mir: Wie schön ist doch die Gabe, im Kleinen das Große zu entdecken, das kann heißen: in den Menschen, die in unserer Gesellschaft wenig gelten und leicht übersehen werden, menschliche Größe zu entdecken. Ich wünsche mir den Mut und die Haltung, vor diesen Menschen Respekt zu haben und mir nicht zu gut zu sein, vor ihnen auf die Knie zu gehen, um sie groß zu machen. Damit die Welt – auch durch mich – ein bisschen wärmer wird.