Zwischenruf 14.1.2024, David Weiss

Von Gelassenheit und Weisheit

Die Zeiten sind weltpolitisch und für viele auch privat prekär. Mit Fug und Recht kann man so einmal darüber nachdenken, wie man trotzdem sein Gleichgewicht findet. Das möchte ich jetzt tun.

Die Stoiker, Hellenen und Römer stehen sprichwörtlich für Gelassenheit, auch wenn das innere Lexikon vieler von uns inzwischen unter dem Eintrag zu stoischer Ruhe und Disziplin das Bild eines Vulkaniers zeigt, das von Mister Spock aus Star Trek.

David Weiss
ist Kulturanthropologe und ehrenamtlicher Seelsorger der evangelischen Kirche

„Von nichts kommt nichts!“

Fast alle kennen die Binsenweisheit, aber möglicherweise, ohne zu wissen, dass dieses Bonmot von einem echten Stoiker stammt, vom römischen Kaiser Marc Aurel. Das klingt in modernen Ohren nicht wie ein klassisches Zitat, sondern wie ein glitzerndes Juwel aus Omas Schatzkästlein der klugen Sprüche.

Ich habe diese Worte gefühlt zigtausende Male gehört, und konnte nichts mit der scheinbaren Plattitüde anfangen. Bis eine unheilbare Autoimmunerkrankung mein Leben auf den Kopf gestellt und mich in einen Rollstuhl gesetzt hat. Plötzlich hat der Weg wieder hinaus die Worthülse mit Bedeutung gefüllt. Ich habe etwas getan, um etwas zu erreichen. Von nichts kommt nichts, das spürte ich zuerst in Armen und Beinen. Medikamente, Behandlungen und Muskeltraining kurierten meine Mobilität und Autonomie.

Zwischenruf
Sonntag, 11.1.2024, 6.55 Uhr, Ö1

Kluge Gedanken durch Zeit und Raum

Eine andere berühmte im Ursprung lateinische Redewendung sagt: „Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“. Diese Perle stammt aus der Feder des Dichters Juvenal. Also frage ich heute frei nach der britischen Kultkomikgruppe Monty Python: „Was haben die Römer jemals für uns getan?“ und antworte: „Abgesehen von den sanitären Einrichtungen, der Medizin, dem Schulwesen, dem Wein, der öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und der allgemeinen Krankenkassen“ – so heißt es im Film – haben sie mein Leben gerettet! Denn als ich, während des Lockdowns an Geist und Körper krank und frisch geschieden auf dem Tiefpunkt war, hat mir ein schmales Büchlein den Verstand saniert: das „Encheiridion“, oft als „Handbüchlein der Moral“ ins Deutsche übersetzt.

Sein Autor ist Epiktet, der körperlich eingeschränkte und freigelassene Sklave und späte Stoiker. Er bietet brauchbare Lösungen. Von ihm lernte ich, nur auf die Dinge meines Lebens zu achten, die ich kontrollieren kann. Diese kann ich ändern, alle anderen Lebensumstände muss ich akzeptieren. Ich kann nicht beeinflussen, wie mich die Welt sieht, aber ich kann bestimmen, wie ich die Welt betrachte.

Stoische Tugenden fanden Eingang ins Christentum, wie in das Gelassenheitsgebet: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“. Auch die asiatische Philosophie kommt auf vergleichbare Schlüsse, benennt sie nur anders. So sieht man, wie kluge Gedanken durch Zeit und Raum wandern. Sei es, weil eine Kultur, eine Tradition die andere beeinflusst. Oder, weil kluge Menschen überall und jederzeit auf Ähnliches kommen. Ich muss gestehen, dass ich mich nach meiner Erkrankung und meiner Beschäftigung mit diesen Dingen besser leiden kann als vorher.