Zwischenruf 25.2.2024, Milena Heussler

Einander trösten, einander stärken

Ein dunkler Raum, nackte Körper, keine Gesichter. Aber Stimmen, die sich Geschichten erzählen.

Geschichten von Eltern, die ihre Kinder schlugen. Davon, wie es ist, in einem Körper zu leben, der wächst und zu einem weiblich gelesenen Körper wird. Darüber, was das bedeutet, als „weiblich“ gelesen zu werden. Von dem Gefühl, schöner werden zu müssen, und was passiert, wenn man den Ansprüchen an Frausein in einer männlich dominierten Gesellschaft nicht genügt. Und auch: Wut und Trauer über das Erleben sexualisierter Gewalt.

Ein sicherer Ort

Milena Heussler
ist evangelisch-reformierte Theologin

Vor wenigen Wochen sitze ich in einem Kinosaal und höre diesen Geschichten zu. Sie sind der zentrale Inhalt des Dokumentarfilms „Smoke Sauna Sisterhood“. Dieser greift die estnische Tradition der Rauchsaunen auf. Er macht sie zum Ausgangspunkt einer Erkundung darüber, was sich weiblich gelesene Personen erzählen, wenn sie an einem von Übergriffen geschützten Ort über Stunden miteinander reden können.

Queerfeministisches Denken bezeichnet solche Räume als „Safer Spaces“. Es sind Orte, an denen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen von Diskriminierung und Unterdrückung zusammenkommen und sich in einem möglichst sicheren Rahmen austauschen können. Diese Orte haben zunächst etwas zutiefst Privates an sich: Sie brauchen einen gewissen örtlichen Schutz. Sie sind abhängig davon, ob die Personen, die sich versammeln, bereit sind, den Erfahrungen der anderen zuzuhören.

Loslassen von Werten

Es braucht viel, damit eine Offenheit entstehen kann, die es möglich macht, sich selbst verletzbar zu zeigen, zu vertrauen, dass das Eigene gut aufgenommen wird. Es erfordert Mut und ein Loslassen von Werten, die unser Leben teilweise stark bestimmen. Werte wie Konkurrenz, Leistung und Kontrolle.

Zwischenruf
Sonntag, 3.3.2024, 6.55 Uhr, Ö1

Als evangelische Theologin berührt mich die Frage nach dem sicheren Ort gerade ganz besonders: Die kürzlich publizierte Forum-Studie über den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche Deutschlands macht mich rasend wütend. Und sie zeigt einmal mehr: Orte, die in ihnen enthaltene Machtgefälle nicht reflektieren, sind immer einladend für jene, die diese Macht missbrauchen wollen.

Alle brauchen einen solchen Ort

Neben dem Schweren in „Smoke Sauna Sisterhood“ sehe ich dort aber auch, wie sich Frauen gegenseitig Trost spenden, Halt geben und bestärken. Als ich das Kino verlasse, fällt mir ein Satz ein, den ich bei einem Vortrag der amerikanischen Soziologin Marianne Hirsch gehört habe: Es ist die zentrale Einsicht feministischen Denkens, dass aus geteilter Verwundbarkeit Stärke entsteht.

So blicke ich auf den kommenden 8. März, den Internationalen Frauentag. Einmal mehr wird dann das Ringen um die Gleichberechtigung und die kritische Reflexion von Geschlechtern in unserer Gesellschaft sichtbar. Und hinter diesem Kampf sehe ich eine Hoffnung schimmern, die mich trägt: Dass durch diesen Aktivismus die Welt für alle Menschen im Privaten wie im Öffentlichen ein „Safer Space“, ein sicherer Ort wird. Ein Ort, an dem Verletzlichkeit und Stärke nebeneinander existieren können, an dem zugehört wird und man keine Angst vor Gewalt haben muss.

Einen solchen Ort brauchen nämlich wir alle. Jede und jeder von uns.