Zwischenruf 24.3.2024, Sr. Karin Weiler

Die Brücke ist die Liebe

Der Palmsonntag ist das Einstiegstor in die Karwoche mit dem Gedenken an Leiden und Tod des Jesus von Nazareth. Die Karwoche öffnet einen Raum für Themen wie Sterben, Tod und Trauer. In der Liturgie, in der Kunst, auch in den Medien.

Und das finde ich gut. Denn Menschen, die mit dem Tod eines lieben Angehörigen konfrontiert sind, erleben sich oft sehr allein und unverstanden. Dass das Thema vorkommen darf, tut gut.

Loslassen – für viele eine Zumutung

In den Einführungskursen für Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung, die ich im Wiener Kardinal König Haus begleite, begegne ich Menschen, die ehrenamtlich tätig werden wollen, gerade weil sie selbst das hilflose Schweigen ihrer Umgebung angesichts eines schmerzhaften Verlustes erlebt haben: Floskeln der Vertröstung, kränkende Ratschläge und die ungeduldige Aufforderung, doch endlich den Verstorbenen, die Verstorbene loszulassen. Für viele Trauernde eine Zumutung: Den Liebsten, die Liebste loslassen.

Karin Weiler
ist Schwester der Gemeinschaft Caritas Socialis

Die Unsicherheit im Umgang mit Menschen angesichts ihrer Trauer ist weit verbreitet. Es ist hilfreich, das Ausweichen zu überwinden und – wenn auch ganz unperfekt und stolpernd – Schritte auf Trauernde zuzugehen, möglichst konkret.

Fortdauernden Bindungen

Zum Glück hat sich die Trauerforschung und das Verständnis der Trauer weiterentwickelt. Ging man über lange Zeit von einem Konzept des Loslassens, der Bewältigung und des Überwindens aus – was für gewaltsame Ausdrücke – so sprechen neuere Modelle von fortdauernden Bindungen.

Mir erscheint das Modell der Traueraufgaben des Trauerforschers William Worden hilfreich. Es gefällt mir vielleicht auch deshalb, weil Worden sich von der ersten Auflage seines Grundlagenwerks zur zweiten Auflage selbst weiterentwickelt hat. Er spricht von vier Aufgaben, die sich in der Trauer stellen: Den Verlust als Realität akzeptieren, den Trauerschmerz durcharbeiten und sich adaptieren in einer Umwelt, in der der oder die Verstorbene fehlt.

Zwischenruf
Sonntag, 24.3.2024, 6.55 Uhr, Ö1

Trauern – ein Zeichen der Liebe

Zunächst formulierte Worden als vierte Aufgabe: „Emotionale Energie von der oder dem Toten abzuziehen und in andere Beziehungen zu investieren.“ Das klingt schon sehr nach der Aufforderung, doch endlich loszulassen. Aber William Worden hat aus Gesprächen mit Betroffenen gelernt und später die vierte Aufgabe im Trauerprozess angepasst: Es ginge darum, dem oder der Verstorbenen emotional einen neuen Platz im Leben einzuräumen und das eigene Leben weiterzuleben.

Trauern ist ja gerade ein Zeichen von Liebe. Die Verbindung muss nicht einfach abgebrochen werden. Ich finde vielleicht neue Weisen, in Beziehung zu sein. Dabei ist es gar nicht verrückt, mit dem geliebten Menschen weiter im Gespräch zu sein, von dem gemeinsamen Lieblingslied weiter berührt zu sein und ein Erinnerungsstück bei mir zu tragen. Liebe und Trauer gehören zusammen. Thornton Wilder hat das so schön ausgedrückt: „Da ist ein Land der Lebenden und ein Land der Toten und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe.“

In die Karwoche nehme ich die Menschen mit, die sich in ihrem Schmerz in den Erzählungen von Leiden und Tod wiederfinden, und ich bewege mich selbst auf dem Weg durch die Trauer, die eine Brücke der Liebe ist.

Buchhinweise:

  • Thornton Wilder, „Die Brücke von San Luis Rey“, Verlag Fisher Taschenbuch
  • William J. Worden, „Beratung und Therapie in Trauerfällen. Ein Handbuch.“, Verlag Hans Huber