Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill und Präsident Vladimir Putin (im Hintergrund)
APA/AP/Russian Orthodox Church Press
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Analyse

Die Rolle der Kirchen im Ukraine-Krieg

Der Krieg in der Ukraine hat die Rollen der russisch-orthodoxen Kirche und der römisch-katholischen Kirche als politische Akteure in ein neues Licht gerückt. Die eine legitimiert den Krieg, die andere übt sich in Überparteilichkeit.

Der Moskauer Patriarch Kyrill steht unverbrüchlich an der Seite des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er unterstützt dessen Narrativ und Argumentationslinie, bezeichnet Gegner des Kremls als Kräfte des Bösen und verspricht russischen Soldaten die Vergebung all ihrer Sünden, wenn sie im Krieg in der Ukraine fallen.

Mit der Listung des Patriarchen in ihrem sechsten Sanktionenpaket habe die EU Ende Mai, Anfang Juni Kyrill endgültig als politischen Akteur anerkannt und ihn als Teil des Kriegs identifiziert, sagt Regina Elsner, Theologin am Zentrum für Osteuropa-Politik und internationale Studien in Berlin in der aktuellen Folge des Ö1-Podcasts „Krieg und Frieden“. „Kyrill sorgt dafür, dass die russische Bevölkerung die Kriegspropaganda akzeptiert und für religiös legitimiert hält.“ Ungarns Präsident Viktor Orban setzte die EU allerdings unter Druck und erreichte, dass Kyrill wieder von der Sanktionenliste genommen wurde.

Hinweis

In mehreren Folgen thematisiert der Ö1-Podcast „Krieg und Frieden“ unter anderem Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, Tyrannenmord und Pazifismus.

Der Papst am diplomatischen Parkett

Schon am ersten Kriegstag fuhr Papst Franziskus überraschend zum russischen Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom. Das war höchst unüblich. Normalerweise empfängt der Papst in Audienz. Franziskus telefonierte zudem mehrmals mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Ende März empfahl er im Petersdom die Ukraine und Russland dem Gebet der Mutter Gottes. Dass er beide Länder nannte, brachte ihm Kritik ein. Bei der traditionellen Karfreitagsprozession in Rom trugen eine Ukrainerin und eine Russin gemeinsam das Kreuz – eine umstrittene Versöhnungsgeste. Im letzten Moment wurde der Text geändert – mehr dazu in Ukrainer und Russen gemeinsam bei Kreuzweg.

Neutralität in diesem Fall „heikle Position“

Der Papst versucht, seinen Kurs der Überparteilichkeit zu halten, um sich als Vermittler zu empfehlen. Eine heikle Position, sagt Emil Brix, Direktor der Diplomatischen Akademie Wien im Podcast. Bei seinem Besuch in Malta Anfang April kritisierte Franziskus zwar den Krieg in der Ukraine, nannte aber weder Russland noch Kremlchef Putin als Aggressoren.

Die Frage, ob sich die katholische Kirche in diesem Krieg neutral verhalten kann, beantwortet der katholische Militärbischof Werner Freistetter mit Nein. Einem völkerrechtlichen Verbrechen gegenüber könne man nicht neutral sein.

Kulturkrieg der Werte

Kyrill hat seine Kirche klar positioniert. In einer vielzitierten Predigt am 6. März 2022 schrieb er dem Krieg eine moralisch-religiöse Bedeutung zu. Das Abhalten der Regenbogen-Parade bezeichnete er als Test einer Weltordnung, die den Donbass und Russland bedrohe. Kristina Stöckl, Religionssoziologin und Expertin für die Orthodoxie in Russland an der Universität Innsbruck spricht im Podcast von einer „unglaublichen Argumentation“, die Kyrill konstruiere.

Denn wenn ein Land diesen Test nicht bestehe, dann dürfe es nach dieser Logik angegriffen werden. Kyrill bediene also das Narrativ eines globalen Kulturkriegs der Werte, in dem Russland auf der Seite der Religion, des Guten und der Rettung stehe, der Westen auf der Seite des Bösen, des Satans, so Stöckl.

Das Konzept der „Russki Mir“

„Russki Mir“ ist ein komplexer Begriff und vereint als geopolitische Konzeption eine Reihe verschiedener Strömungen, nämlich anti-westliche, anti-liberale und neo-imperiale. Russland sieht darin offenbar eine seiner wichtigsten Legitimationsgrundlagen für den Krieg in der Ukraine. Die Idee: Das russische Imperium oder zumindest die russische Supermacht soll wiederhergestellt werden, sagt Oleksandr Zabirko vom Institut für Slavistik an der Universität Regensburg.

„Die russische Welt hat nicht nur eine geografische, geopolitische und geostrategische Dimension, sondern auch eine transzendente. Es ist auch ein Raum, der nach dem Reich Gottes strebt.“ Geopolitische Machtansprüche träfen sich hier mit religiösen. Doch gegen das Konzept „Russki Mir“ formiert sich mittlerweile Widerstand. In einer Deklaration nannten es orthodoxe Theologinnen und Theologen weltweit eine Häresie.

Begriff „Heiliger Rus“ noch stärker

Kyrill verwendet den Begriff „Russki Mir“ seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 nicht mehr. Er spricht vom „Heiligen Rus“. Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen, hält dieses Konzept für sehr viel stärker.

„Die drei ostslawischen Nationen (Russland, Ukraine, Belarus; Anm.) gehören aus dieser Perspektive genauso zusammen wie die göttliche Dreifaltigkeit. Und eine Pointe ist natürlich auch, dass sie erst zusammen eigentlich ihre volle Potenz entfalten.“ „Russki Mir“ als Konzept wäre wahrscheinlich zu schwach gewesen, um diesen offenen Angriff auf die Ukraine zu rechtfertigen, so Schmid.

Heikle Mission nach Kiew

Ob der Papst nach Kiew reisen sollte, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Cesare Zucchoni, Generalsekretär der Laiengemeinschaft Sant´Egidio, die immer wieder in internationalen Konflikten erfolgreich vermittelt, hält eine Papstreise nach Kiew nicht mit der Überparteilichkeit des Heiligen Stuhls vereinbar.

Militärbischof Freistetter hingegen würde eine Reise des Papsts nach Kiew für ein sehr starkes Zeichen halten. Bisher ist der Papst weder nach Moskau noch nach Kiew gereist und somit noch nicht in einer Vermittlerrolle angekommen.