Im Bild: „Der Weg der Mystik“
ORF/Metafilm
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Di., 23.02.2021, 22:35 Uhr, ORF 2

Der Weg der Mystik und Sister Mary von Nairobi

Mystik gilt als Inbegriff tiefer religiöser Erfahrung mit Gott oder der göttlichen Wirklichkeit. Von Betroffenen wird sie manchmal beschrieben als bedingungslos liebende Zuwendung einer Macht, der sich der Mensch verdankt.

Der Weg der Mystik

Die erfahrene Verbindung mit dem Ganzen der Welt und die Befreiung aus den engen Grenzen des Ego verpflichtet zugleich zur inspirierten Weltgestaltung im Alltag.

Tobias Dörr zeigt in seinem Film, dass dieser Erfahrungsweg göttlicher Nähe keineswegs das Privileg weniger Auserwählter ist, sondern jedem offensteht.

„Gott wohnt im Land des Schweigens“
Pater Nathanael sitzt auf einer Bank im Garten der Propstei Sankt Gerold im großen Walsertal in Vorarlberg. Für den 90-jährigen Benediktinermönch heißt Mystik, das Göttliche erfahren zu wollen und zu können. Mystik gehe nie über den Kopf, sondern über das Herz, über die Erfahrung und über die Liebe.

Sie habe viel mit der Stille zu tun, denn Gott wohne „im Land des Schweigens“. Geistig ganz gesammelt in der Gegenwart zu verweilen, um Gottes Stimme zu vernehmen, müsse im Alltag gelernt werden. Das sei eine große und lange Übung. Man müsse in alles, was man tue, die Liebe und das Herz hineinlegen, und so werde immer mehr der Tag zur Gegenwart.

„Der Weg der Mystik“
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Das Leben bringe uns immer Freudvolles und Leidvolles. Die Menschen seien ausgerichtet, nur das Angenehme und Unproblematische anzunehmen. Die Mystik aber sage: „Freude hat kein Gegenteil.“ Wenn etwas Leidvolles entstehe, müsse man lernen, es genauso anzunehmen wie das Freudvolle. „Sagt man ,ja‘, dann bekommt man auch die Kraft dazu.“

Was meinst Du eigentlich, wenn Du „Mystik" sagst?
Der Religionswissenschaftler Karl Baier hat 15 Jahre den Begriff „Mystik“ nicht mehr in den Mund genommen, weil das Wort für ihn zur Hülse wurde.

„Was meinst Du eigentlich, wenn Du Mystik sagst?“, fragte er sich und fand durch die zeitweise Verbannung des Wortes aus seinem Sprachschatz wieder Zugang zur Mystik. Er geht den Fragen nach, ob eine mystische Erfahrung immer auch eine Gotteserfahrung ist und ob die Mystikerinnen und Mystiker für die Befreiung der Menschen kämpften und die kirchliche Hierarchie mit ihren Thesen herausforderten.

Tragende Hände
Die Bildungs- und Sozialwissenschaftlerin Christina Rothdeutsch-Granzer verbrachte die ersten neun Jahre ihres Lebens bei ihren Großeltern in der Steiermark. Ihr Großvater erzog sie im christlichen Glauben. Er sei ein gütiger und verzeihender Mensch gewesen, erzählt Rothdeutsch-Granzer.

Als Kind sei sie am liebsten auf Bäume geklettert. Wenn die Rinde scharf oder der Weg zurück nicht möglich war, ließ sie sich in die Hände ihres Großvaters fallen, der sie auffing und zurück auf die Erde trug. Noch heute, wenn sie daran zurückdenke, kämen ihr die Tränen. „Diese tragenden Hände sind für mich eine Gotteserfahrung, die ich so oft in meinem Leben spüre“, sagt Christina Rothdeutsch-Granzer.

Im Bild: Pater Nathanael Wirth (Benediktiner und ehemaliger Probst von St. Gerold)
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Kirchenlehrerin Teresa von Ávila
Die Wiener Psychoanalytikerin Ute-Karin Höllrigl hat sich intensiv mit der spanischen Mystikerin Teresa von Ávila (1518-1582) beschäftigt. Sie spürt eine tiefe Verbindung zu der ersten von der römisch-katholischen Kirche offiziell anerkannten Kirchenlehrerin.

Für Höllrigl sind Teresas Denken und die Beschreibungen ihrer inneren Erfahrungen auch Kraftquelle und Inspiration für ihre eigene psychoanalytische Arbeit. Höllrigl beschreibt die Mystik als einen Weg ins Innere, der den Menschen reifen und wachsen lasse. Höllrigl übersetzt das Gartengleichnis von Teresa von Ávila ins Heute und sucht nach den Analogien zwischen dem mystischen und dem psychoanalytischen Weg.

Ein Film von Tobias Dörr
Redaktion: Helmut Tatzreiter

Im Bild: Papst Franziskus trifft Sister Mary Kileen, bei seinem Besuch in Nairobi.
ORF/Gernot Lercher

Sister Mary von Nairobi

Der unermüdliche Einsatz für Gerechtigkeit prägt das Leben von Sister Mary Killeen. In den größten Slums Afrikas steht die irische Ordensschwester an der Seite der Ärmsten und verhilft damit vielen von ihnen zu einem besseren Leben. Regisseur Gernot Lercher zeichnet in seiner Dokumentation „Sister Mary von Nairobi“ das beeindruckende Portrait einer außergewöhnlichen Frau.

In den Armenvierteln von Nairobi leben über zwei Millionen Menschen. Gefangen in einem Sumpf aus Not und Elend, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt.

Für Sister Mary kein Grund aufzugeben. Seit 40 Jahren stemmt sich die kämpferische Irin gegen Korruption und Misswirtschaft in der kenianischen Hauptstadt, hat Schulen und Lehrwerkstätten inmitten der Armenviertel errichtet, und damit zehntausende Slumbewohner vor Verbrechen, Gewalt und Hunger bewahrt.

Die Wurzeln für ihr unbändiges Streben nach Gerechtigkeit liegen in Irland. Dort ist sie als eines von acht Kindern aufgewachsen – geprägt von den Wertevorstellungen ihres Vaters. Der hat als junger Mann – in den frühen 1920er-Jahren – an der Seite des legendären Freiheitskämpfers Michael Collins für Irlands Unabhängigkeit gefochten.

Für seinen Film reiste Gernot Lercher nicht nur nach Nairobi, sondern begleitete Mary Killeen auch auf einem ihrer seltenen Heimatbesuche in Irland. Dabei hat sie dem Filmteam buchstäblich die Tür zu ihrer Familiengeschichte in Dublin geöffnet. Im Rahmen einer Willkommensfeier zu Ehren von Mary erinnern sich ihre Geschwister an die gemeinsame Kindheit und ihren Vater, der nach seinem Kampf für Irlands Unabhängigkeit, als friedfertiger Polizist das Überleben der Familie sicherte.

„Er hat nicht viel über die Zeit im Bürgerkrieg gesprochen, wir wissen aber, dass er Menschen getötet hat. Das hat auf seiner Seele einen dunklen Schatten hinterlassen. Deshalb war für ihn der Einsatz von Waffen zur Konfliktlösung später auch immer ein Tabu.“, erinnert sich Sister Mary an ihren Vater. Sein Grab liegt nur wenige Meter von Michael Collins’ letzter Ruhestätte entfernt.

Die heute 72jährige Sister Mary blickt zurück auf ihre Anfänge, als junges Mädchen und Jugendliche, in einem Irland der Nachkriegszeit, bestimmt von ständigen Entbehrungen. Sie erzählt von ihre ersten großen Liebe und deren Scheitern, der harten Schule auf der Straße, einer fast todbringenden Krankheit, ihren Eintritt in den Orden der „Sisters of Mercy“ und ihre Ausbildung zur Lehrerin.

Als solche wird sie Mitte der 1970er-Jahre von ihrem Orden der „Schwestern der Barmherzigkeit“ auch nach Nairobi geschickt. Schnell erkennt sie dort das Fehlen von Schulen in den Slums als größtes Problem.

Beharrlich und entschlossen geht sie daran, diesen Missstand zu bereinigen. Ihre Überzeugungskraft und Furchtlosigkeit, aber auch ihr Humor und ihre stets realistische Lebenseinstellung sind die stärksten Waffen, um Widerstände zu überwinden.

Waren es zu Beginn einige kleinen Klassenzimmern in Blechhütten, hat Sister Mary mit der Unterstützung internationaler Hilfswerke bis heute vier große Gebäudekomplexe errichtet. 5000 Kinder und Jugendliche können hier nun jährlich in die Schule gehen und schaffen damit vielleicht einmal den Schritt aus dem Slum.

Im Bild: Sister Mary Kileen mit Schulkind auf Spielplatz in der St.Chatherines Schule in Nairobi
ORFGernot Lercher

Regisseur Gernot Lercher taucht mit Sister Mary tief in die Slums von Nairobi ein und kann dabei beobachten, dass sich die rastlose Irin mit dem Erreichten noch lange nicht zufrieden gibt. „Mit Sister Mary durch die engen, morastigen Gassen zwischen den Blechhütten zu gehen, wird mir immer unvergessen bleiben.

Jeder scheint sie zu kennen, keiner, der nicht direkt oder indirekt von ihren Hilfsprojekten profitiert hätte. Man hat das Gefühl, man ist mit einer Heiligen unterwegs“, erinnert sich Lercher an die Dreharbeiten.

„Du kannst so heilig sein, wie du möchtest“, sagt Sister Mary, „wenn du nichts gegen die Armut rund um dich tust, bist du überhaupt nicht heilig, ganz im Gegenteil!“

Die Ordensschwester ist nicht nur nach Bränden im Armenviertel sofort zur Stelle, sondern stemmt sich auch gegen kriminelle Kartelle, die ihr die wertvollen Schulgrundstücke streitig machen wollen. Und sie nimmt es mit der Müllmafia auf, die ihren Abfall in den Slums illegal deponiert und den Bewohnern damit auch noch den letzten Lebensraum nimmt. Wenn wundert es da noch, dass streitbare Irin auch von einem Gerichtsverfahren und einer Gefängnisstrafe bedroht wird.

„Ich gehe gerne für einige Zeit in Gefängnis, dann wird sich das Interesse der Öffentlichkeit an unseren Schulen und den Ungerechtigkeiten in den Slums noch weiter verstärken“, sieht Sister Mary auch diese Angriffe pragmatisch.

Im Bild: Sister Mary Kileen mit Kind im Behindertenzentrum Songa Mbele im Mukuru-Slum.
ORF/Gernot Lercher

Beim jüngsten Besuch von Papst Franziskus in Nairobi durfte Sister Mary im Namen aller Hilfsorganisationen zum Heiligen Vater sprechen. Nicht zur Freude der Stadt Nairobi , denn die Irin hat nicht mit Kritik an der lokalen Politik gespart, was man ihr dort sehr übel nahm.

Doch Sister Mary reagiert darauf mit einem Schulterzucken, „sie hatten lange genug Zeit mir zu helfen, und haben es nicht getan. Ich hab nur die Wahrheit gesagt. In meinem Körper fließt eben irisches Blut, und das treibt mich immer weiter an. Denn die Probleme hier in Nairobi werden nicht kleiner.“

Gernot Lerchers Film „Sister Mary von Nairobi“, erzählt die atemberaubende Lebensgeschichte der ebenso beherzten wie unerschrockenen Irin Mary Killeen, die auszog, um die Welt ein klein wenig besser zu machen, ohne dabei ihre unsentimentale Sichtweise auf das Leben und das Sterben zu verlieren.

Wo sie den gerne ihre letzte Ruhestätte finden möchte? „Irland und Kenia, beide Länder sind meine Heimat. Außerdem halte ich wenig davon, Särge durch die Welt zu fliegen. Mein Grab wird also dort sein, wo ich sterbe.“

„Sister Mary von Nairobi“ ist eine Eigenproduktion des ORF.

Ein Film von Gernot Lercher
Redaktion: Christoph Guggenberger