Samstag, 6.8.2022 Dominik Barta

Wie viel „Nähe“ wir unseren Mitmenschen zugestehen

Kaum ein westlicher Philosoph hat der „Nähe“ eine solch grundlegende Bedeutung gegeben wie David Hume. Für David Hume ist alles Denken ein Übergehen vom Nahen und Bekannten auf Entfernteres und Abstrakteres.

Auch der Gefühlstonus und das moralische Gewicht der Gedanken stehen in direkter Abhängigkeit zu deren „Nähe“. Im zweiten Buch des „Treatise of Human Nature“ schreibt Hume (in der Übersetzung von Theodor Lipps):

„Keine Eigenschaft der menschlichen Natur ist, sowohl an sich, als auch in ihren Folgen bedeutsamer als die uns eigentümliche Neigung, mit anderen zu sympathisieren, (…) Ein gutmütiger Mensch teilt sofort die Stimmung seiner Umgebung (…) Ein fröhliches Gesicht versetzt mein Gemüt in fühlbare Freude und Heiterkeit; ein ärgerliches oder betrübtes wirft einen plötzlichen Schatten darauf.“

Dominik Barta
ist Schriftsteller

Ähnlich sind uns alle Menschen

Dass dies möglich ist, wird von David Hume mit der prinzipiellen Ähnlichkeit zwischen den Menschen begründet. Kommt zusätzlich zur Ähnlichkeit noch Nähe, so fließen die Gemütsbewegungen mühelos zwischen den Subjekten hin und her. Hume schreibt: „Die Gefühle anderer beeinflussen uns wenig, wenn die anderen von uns weit entfernt sind; sie bedürfen der Beziehung der Nähe, um sich uns vollständig mitzuteilen.“

Insofern ist es gesellschaftlich bedeutsam, der relativen Nähe zu unseren Mitmenschen nachzuspüren. Ähnlich sind uns alle Menschen, so viel ist klar!! Ob wir uns angesichts der Ähnlichkeit aber überdies von den Mitmenschen berühren lassen, hängt davon ab, wie viel „Nähe“ wir ihnen zugestehen. Wen wir als „Nachbarn“ anerkennen, dem räumen wir, bewusst oder unbewusst, die Macht ein, unser Leben zu beeinflussen.

Literaturhinweise

  • Dominik Barta: Vom Land. Zsolnay 2020
  • Dominik Barta: Tür an Tür. Zsolnay 2022
  • Hume, David: Ein Traktat über die menschliche Natur. Buch II und Buch III. Hamburg: Meiner 2013, S. 382