Dienstag, 5.3.2024, Angelika Walser

Clara von Assisi – Rebellin im Hungerstreik

Sie ist die Punkerin unter meinen Gästen im Frühstückscafé, die Rebellin. Nein, sie will nichts essen und nichts trinken, maximal vielleicht ein stilles Wasser.

Ich erinnere mich plötzlich, dass eine Menge Experten und Expertinnen der Mittelalterforschung bis heute darüber rätseln, ob Clara von Assisi wohl an Anorexie, an Magersucht, gelitten hat.

War ihr Extremfasten Ausdruck von Aufbegehren gegen eine patriarchale Umgebung? Jedenfalls ist sie eine, die sich gerne in der Nähe der Grenzen bewegt und sie immer wieder überschritten hat – mit vollem Körpereinsatz. Im Notfall trat Clara in Hungerstreik – wenn es sein musste auch, um die Anordnung eines Papstes vom Tisch zu bekommen, der ihren Traum von einem offenen Kloster nicht akzeptieren wollte.

Nie satt geworden

Angelika Walser
ist katholische Theologin und Professorin für Theologische Ethik an der Universität Salzburg

Der weibliche Körper – ein einziges Schlachtfeld bis heute. Was Clara wohl von den Abnehmchallenges der Mädels auf TikTok hält? „Kaum auszuhalten“, sagt sie. Wozu das alles, will sie dann von mir wissen. Ich erkläre ihr, dass es letztlich wohl um Hunger nach Anerkennung und Liebe geht. Und dass aus dieser ungestillten Sehnsucht dann manchmal auch eine tödliche Sucht werden kann. Clara von Assisi unterbricht mich. „Sehnsucht musst du mir nicht erklären!“

Hungern nach Gerechtigkeit, Hungern nach Sinn – das kennt sie gut. Ob ausgerechnet in der Solidarität mit den Armen, um die sie sich dann als Klosterfrau gekümmert hat, ihr persönlicher Hunger gestillt wurde? „Manchmal“, sagt sie. Ihre persönliche Komfortzone habe sie dafür aber verlassen müssen – zum Schrecken ihrer wohlsituierten Familie, die mit dem kahlrasierten Schädel der rebellischen Antikapitalistin nicht klarkam. „Ganz und gar satt bin ich nie geworden!“, sagt Clara. Vielleicht ist mystische Erfahrung ohne den Hunger nach Leben auch gar nicht vorstellbar…