Samstag, 30.3.2024, Mirja Kutzer

„Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein“

Über Mystik nachzudenken ist für eine katholische Theologin wie mich kaum möglich, ohne dass mir ein sehr berühmter Satz in den Sinn kommt. Geschrieben hat ihn Karl Rahner, der vielleicht bedeutendste katholische Theologe des 20. Jahrhunderts, dessen Todestag sich heute zum 40. Mal jährt.

Maßgeblich war Karl Rahner daran beteiligt, eine auf Lehrsätze und überkommene Autoritäten fixierte Theologie in die moderne Zeit zu führen. Dabei hat der Jesuit immer auch eins vermocht: Theologie transparent zu halten auf das persönliche Erleben, die eigene Spiritualität.

Mirja Kutzer
ist katholische Theologin und Germanistin

Am Sinn des Lebens festhalten

In diesem Sinne ist nun auch der genannte Satz zur Mystik zu verstehen. Er lautet: „Der Fromme von morgen wird ein ‚Mystiker‘ sein, einer der etwas ‚erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein.“ Der Satz ist nicht zuletzt eine Zeitdiagnose. Schon 1966, als Rahner ihn schreibt, ist es nicht mehr selbstverständlich, dass Menschen religiös sind, dass die Existenz Gottes zu den allgemeinen Überzeugungen gehört und dass Menschen am Sonntag in die Kirche gehen. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, so die Analyse Rahners, dann werden nur noch diejenigen religiös bleiben, bei denen der Glaube Verwurzelung im eigenen Inneren gefunden hat. Eben diejenigen, die „etwas erfahren haben“.

Geht es Rahner hier um die besonders Frommen? Eben die mit den besonderen mystischen Begabungen? Weit gefehlt. Für Rahner liegt diese religiöse oder vorreligiöse Erfahrung schon dort, wo wir uns als Subjekte wahrnehmen: wo wir nach uns selbst, unserem Woher und Wohin fragen und wo wir dieser Frage die Chance geben, irgendwann eine Antwort zu finden. Am Sinn unseres Lebens festzuhalten, sich der eigenen Frage nach uns selbst anzuvertrauen, bedeutet mit Rahner schon, ein Mystiker, eine Mystikerin zu sein.