Papst Benedikt XVI.
Reuters/Tony Gentile
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Nachruf

Das Vermächtnis von Papst Benedikt XVI.

Der Altbischof von Rom und ehemalige Papst Benedikt XVI. ist am Samstag im Alter von 95 Jahren gestorben. Er geht als der erst zweite Papst, der zurücktrat, in die Geschichte ein. Der erste deutschsprachige Papst galt als einer der einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts.

Vor ihm tat den Schritt, als Papst zurückzutreten, nur Papst Coelestin V. im 13. Jahrhundert. Coelestin erließ ein Dekret, das Päpsten einen Rücktritt erlaubt. Benedikt XVI. begründete seinen Rücktritt 2013 damit, gesundheitlich nicht mehr in der Lage zu sein, die Aufgabe der Kirchenführung weiter erfüllen zu können. Als emeritierter Papst blieb er Rom allerdings treu, lebte weiterhin im Vatikan, im früheren Kloster „Mater Ecclesiae“ in den vatikanischen Gärten, trug päpstliche Gewänder und wurde weiterhin mit „Heiliger Vater“ angesprochen.

Benedikt XVI. hatte die Organisation, das Unternehmen Kirche, eher in den Hintergrund gestellt, sein Anliegen galt der Theologie. Der Tenor nach seinem Rücktritt war, er sei ein standhafter Bewahrer der kirchlichen Lehre, ein brillanter Theologe, ein großer Denker, aber weniger Führungspersönlichkeit gewesen.

Papst Franziskus und Benedikt XVI. bei einem Treffen im Februar 2018
APA/AFP/Osservatore Romano Handout
Papst Franziskus und Benedikt XVI.

Nicht nur als vatikanischer Amtsträger, sondern auch als Theologe arbeitete Benedikt XVI. nach seinem Rücktritt weiter. In Büchern, Interviews und Studien legte er Analysen zum Zustand von Kirche und Gesellschaft vor, die in ihrer Offenheit nicht allen gefielen – und wohl auch nicht nur gefallen sollten.

Priesterweihe 1951 zusammen mit Bruder

Benedikt XVI. wurde als Joseph Alois Ratzinger am 16. April 1927 im oberbayerischen Marktl am Inn geboren. Sein Vater war Gendarmeriemeister, seine Mutter Köchin. Kindheit und Jugend verbrachte er hauptsächlich in Traunstein. 1943 wurde Joseph Ratzinger als Luftwaffenhelfer eingezogen, dann zum Reichsarbeitsdienst zur Errichtung des Südostwalls verpflichtet.

1946 bis 1951 absolvierte er das Theologie- und Philosophiestudium in Freising und München. Gemeinsam mit seinem Bruder Georg empfing er am 29. Juni 1951 in Freising die Priesterweihe. Die Promotion in München folgte 1953. 1959 wurde er an die Universität Bonn berufen, 1963 nach Münster.

Joseph Ratzinger, der spätere Papst, und sein Bruder Georg empfangen im Freisinger Dom die Priesterweihe (Archivfoto vom 29.06.1951).
APA/Erzbistum München und Freising
Joseph Ratzinger (re.) und sein Bruder Georg bei ihrer Priesterweihe 1951

Kardinal mit 50

Während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–65) war Ratzinger Berater und Redenschreiber des Kölner Kardinals Joseph Frings (1887–1987). Er vertrat eine reformfreudige Auffassung. 1966 erhielt der bereits bekanntgewordene Konzilstheologe auf Empfehlung des Theologen Hans Küng, mit dem er sich später inhaltlich entzweien würde, einen Lehrstuhl für Dogmatik in Tübingen.

Unmittelbar betroffen von den Studierendenprotesten der ausgehenden 1960er Jahre folgte Ratzinger 1969 dem Ruf an die neue Universität Regensburg. Dort lehrte er Dogmatik und Dogmengeschichte. Einer seiner Studenten war der spätere Erzbischof von Wien, Kardinal Christoph Schönborn. Papst Paul VI. ernannte Ratzinger am 25. März 1977 zum Erzbischof von München und Freising. Drei Monate später erhielt der erst 50-Jährige die Kardinalswürde.

Karriere im Vatikan

1981 berief Johannes Paul II. Kardinal Ratzinger zum Präfekten der Glaubenskongregation und damit zum höchsten Glaubenshüter. Dieses Amt übte er bis zu seiner Wahl zum Papst aus. 1986 vertraute Johannes Paul II. Ratzinger auch den Vorsitz der Kommission für den Weltkatechismus an. Sein engster Mitarbeiter als Redaktionssekretär wurde Schönborn.

Am 19. April 2005 wählten die Kardinäle Joseph Ratzinger als Nachfolger von Johannes Paul II. an die Spitze der römisch-katholischen Kirche. Er nahm den Namen Benedikt XVI. an und trat am 24. April 2005 sein Amt an. Die Wahl seines Papst-Namens begründete er einerseits mit dem Friedenswerk des Vorgängers Benedikt XV. (1914 bis 1922) und mit dem Patron Europas, dem Hl. Benedikt. Der Name Benedikt kommt von lat. bene dicere, u. a. „loben, preisen“, und bedeutet „der Gepriesene“.

„Fallbeil“ Papst-Wahl

Als „Fallbeil, das auf mich herabfallen würde“ bezeichnete Benedikt XVI. den Moment kurz vor seiner Wahl. Er habe gedacht, sein Lebenswerk bereits erfüllt zu haben und nun „auf einen ruhigen Ausklang seiner Tage hoffen zu dürfen“, erzählte er kurz nach seiner Wahl.

Papst Benedikt XVI. 2005
APA/dpa/Federico Gambarini
Benedikt XVI. 2005

Schon bald gelang es ihm, aus dem Schatten seines populären Vorgängers zu treten. Er akzentuierte in seinem Pontifikat manches anders, insbesondere in der Debatte um das Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965). Aufbrüche und neue Ideen sollten ins Gesamtgeflecht der Kirche und ihrer Tradition eingeordnet werden. Sein achtjähriges Pontifikat war allerdings immer wieder von Negativschlagzeilen dominiert.

Skandale und Krisen

Unter seiner theologischen Ägide wurde 2007 der tridentinische („alte“, lateinische) Ritus in der Liturgie wieder zugelassen. Das erschien vielen als Rückschritt beziehungsweise als Annäherung an die Gegner der Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils – etwa die traditionalistische Priesterbruderschaft St. Pius X. (Piusbrüder).

2009 hob er die Exkommunikation für vier Bischöfe der Piusbruderschaft auf – ein medialer Super-GAU entstand: Denn darunter war auch der Holocaust-Leugner Richard Williamson, der später aus der Piusbruderschaft ausgeschlossen wurde. Die folgenden Missdeutungen, Entschuldigungen und Neustrukturierungen hinterließen Schrammen.

In der medialen Wahrnehmung war das Bild des Papstes geprägt von aufsehenerregenden Wortmeldungen – etwa über seine ablehnende Haltung zum Gebrauch von Kondomen im Kampf gegen HIV/Aids.

Umgang mit sexuellem Missbrauch

Zu seinem Erbe gehörte auch die Aufarbeitung des Skandals um sexuelle Gewalt in Einrichtungen der römisch-katholischen Kirche, auf die Benedikt XVI. in London mit einer historischen Vergebungsbitte reagierte. Noch dramatischer wirkte das erneute Aufbrechen des Missbrauchsskandals 2010: Erst nach Monaten gelang es Rom, den bereits seit 2001 geltenden und maßgeblich durch Kardinal Ratzinger angestoßenen verbesserten kirchlichen Umgang mit den Missbrauchsvorwürfen überzeugend darzulegen.

Benedikt XVI. und Georg Ratzinger, Bild vom April 2012
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Benedikt XVI. und sein Bruder Georg Ratzinger 2012

Im Jänner 2022 erschütterte allerdings ein Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch durch Kleriker im Erzbistum München Freising erneut die Kirche. Benedikt XVI. habe als damaliger Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger (1977–1982) in vier Fällen nichts gegen des Missbrauchs beschuldigte Kleriker unternommen, so das Gutachten. Benedikt bekundete „Schock und Scham“ über die Ergebnisse und bat rund drei Wochen nach der Veröffentlichung des Gutachtens um Entschuldigung. Vorwürfe, er habe Missbrauch vertuscht, wiesen seine Anwälte zurück.

Bis zuletzt kam allerdings keine Ruhe in diese Sache: Im Sommer 2021 hatte ein Mann, der nach eigenen Angaben vom verurteilten Wiederholungstäter Peter H. in Garching an der Alz missbraucht wurde, eine Feststellungsklage gegen mehrere hochrangige Kirchenvertreter – darunter auch Benedikt XVI. – eingereicht. Der emeritierte Papst kündigte im November seine Verteidigungsbereitschaft an, für Ende März war eine Verhandlung anberaumt.

„Vatileaks“

Seit Beginn 2012 hatte der Vatikan mit „Vatileaks“ und dem Verrat geheimer Dokumente durch den päpstlichen Kammerdiener Paolo Gabriele ein neues Problem. Dieser hatte vertrauliche Dokumente vom Schreibtisch Benedikts XVI. entwendet und an den italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi weitergegeben, der sie veröffentlichte. Gabriele wurde im Oktober 2012 zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt, drei Tage vor Weihnachten aber von Ratzinger begnadigt.

Für die Ankündigung seines Rücktritts am 11. Februar 2013 wählte Benedikt XVI. einen Zeitpunkt, an dem sich die Wellen der Erregung wieder etwas geglättet hatten. In seiner Entscheidungsankündigung vor Kardinälen sagte er auf Latein, dass seine Kräfte aufgrund des Alters nicht mehr ausreichend wären, um ordnungsgemäß seinen Dienst auszuüben.

Ökumene und interreligiösen Dialog gestärkt

Gefestigt und ausgebaut hatte Benedikt XVI. die ökumenischen und interreligiösen Kontakte. Die Beziehungen zum Judentum waren inzwischen so stabil, dass sie auch schweren Belastungen standhielten, wie dem Williamson-Skandal. Auch das Verhältnis zum Islam, das nach der „Regensburger Rede“ (2006) mit einem Mohammed-kritischem Zitat einen Einbruch erlebte, erfing sich wieder.

Er hatte darin die Äußerung eines byzantinischen Kaisers, die den Islam als „inhuman“ und gewaltbereit darstellte, zitiert. Benedikt XVI. konnte in der Folge trotzdem seine Absicht glaubhaft machen, den Dialog mit dem Islam und anderen Religionen im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils fördern und suchen zu wollen sowie für Frieden einzutreten.

2008 gab es im Vatikan ein hochkarätiges Treffen muslimischer und katholischer Theologen – ein Novum im Verhältnis der Religionen. Er besuchte während seiner Amtszeit auch einige islamische und jüdische Stätten. Im August 2005 nahm er in der Kölner Synagoge an einer gemeinsamen Gedenkzeremonie für die in der NS-Zeit ermordeten Juden teil. 2009 besuchte er Israel.

Papst Benedikt XVI. im Juni 2021
APA/dpa/Sven Hoppe
Benedikt XVI. im Juni 2021 mit Privatsekretär Georg Gänswein nach dem Besuch seines Bruders

Immer wieder Wortmeldungen

Auch nach seinem Rücktritt meldete sich Benedikt immer wieder zu brisanten Themen zu Wort: Im April 2019 war ein Text des emeritierten Papstes publik geworden, in dem er als zentrale Ursache für sexuellen Missbrauch einen Glaubensabfall in den westlichen Gesellschaften seit den 1960er Jahren und eine Abkehr von der katholischen Morallehre ortete.

Im Jänner 2020 sorgte ein Buch mit einem Beitrag von Benedikt XVI. zum Zölibat für Aufmerksamkeit. Der frühere Papst wird dabei mit Kardinal Robert Sarah als Koautor angeführt, samt Bild von ihm auf dem Cover, obwohl Benedikt dieser Art von Veröffentlichung nicht zugestimmt hatte. Seine Aussagen stammten aus einem Briefwechsel. Dass sich der frühere Papst noch vor dem amtierenden Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche zu so einem heiklen Thema äußerte, werteten Kritiker als Grenzüberschreitung.

Hoffnung auf Jenseits

Zu seinem Bruder hatte Benedikt bis zuletzt ein inniges Verhältnis. Im Juni 2020 besuchte Benedikt XVI. seinen um drei Jahre älteren Bruder Georg Ratzinger in Bayern, um sich von ihm zu verabschieden. Georg Ratzinger war schwer krank und verstarb Anfang Juli 2020 96-jährig.

Als Anfang Oktober 2021 der österreichische Ordensmann und Kirchenhistoriker Gerhard Winkler gestorben war, schrieb Benedikt XVI. in einem Beileidsschreiben: „Nun ist er im Jenseits angelangt, wo sicher schon viele Freunde auf ihn warten. Ich hoffe, dass ich mich bald hinzugesellen kann.“