Und immer droht der Weltuntergang
Zutiefst geprägt ist laut „Dies irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs“ die „westliche“, in der Tradition von Juden- und Christentum stehende Welt vom Glauben an das unwiderrufliche Ende der Welt. „Dies irae“ heißt „Tag des Zorns“. Ihre Wurzeln hat die christliche Untergangserwartung im Judentum: Die jüdische Apokalyptik drohte mit dem „schrecklichen Tag des Herrn“ dem Volk Israel, „das vor dem Abfall von Gott gewarnt wurde, das aber auch die Königsherrschaft des Messias auf Erden erwarten durfte“, wie es der Autor formuliert.
Jüdisch-christliche „Erfindung“
Fried, bis zu seiner Emeritierung Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt und Autor mehrerer historischer Werke, erläutert, dass die Vorstellung eines unumkehrbaren Weltuntergangs so nur in der jüdisch-christlichen Tradition existiert. „Eine Art Weltuntergang“ hätten viele gekannt, sie seien aber in einen Zyklus eingebunden gewesen und „mündeten in der Regel in keinen letzten, alles auflösenden Weltbrand.“
C. H. Beck Verlag
Buchhinweis
Johannes Fried: Dies Irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs. C. H. Beck, 352 Seiten, 27,80 Euro.
Asiatische Religionen etwa würden die Idee von der Apokalypse so nicht kennen. Selbst eine Kultur, die in der Populärkultur als geradezu paradigmatisch für Weltuntergang und Apokalypse steht, nämlich die versunkene Hochkultur der Maya in Mittelamerika, hatte keinen Begriff von einem dauerhaften Weltenende.
Die von Totenkulten tief geprägte Kultur der alten Ägypter kannte das Totengericht des Einzelnen, darauf folgt aber eine Weiterexistenz im Totenreich - ein „ganzheitliches“ Weltenende kam nicht vor. Auch das hellenistische Griechenland mit seiner reichen Mythologie habe keine Apokalypse gekannt, „wie sie dann Judentum, Christentum und Gnosis lehrten“.
Apokalypse und Eschatologie
Zunächst gibt Fried eine Begriffserklärung zu Apokalypse und Eschatologie: „Jene ‚enthüllt‘ die Zukunft und besitzt eine lange Vergangenheit, diese, die Eschatologie, belehrt über das Ende in seinen mannigfachen Formen.“ Im ersten Teil des Buches berichtet der Autor von der Entwicklung und Auskleidung des Untergangsgedankens. Der Wiederkehr des Erlösers (Parusie) wird im Johannes-Evangelium der Auftritt eines „lügnerischen Antichristen“ vorangesetzt, der sich mit der Zeit vom Verführer zum Widersacher Christi beim „Endgericht“ entwickelte.
Als „al-Daggal“ kommt der Antichrist auch in den Hadithen (Überlieferungen von Aussagen des Propheten Mohammed) im Islam vor: Nach einer 40-tägigen Schreckensherrschaft wird er dereinst von Jesus besiegt werden. Einen Weltuntergang im christlichen Sinn kenne der Islam aber nicht, so der Autor.
Rom als „Hure Babylon“
Da die frühen Christen die heiligen Schriften durchaus wörtlich nahmen, machte sich bald nach Christus’ Tod Verunsicherung über die „ausbleibende Parusie“ des Herrn breit. Um diese zu erklären, entstanden ganze Gedankengebilde, außerdem schritten während der Antike und des Mittelalters Auskleidung und Weiterentwicklung der Apokalypse-Narrative voran.
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Dabei wechselten die Deutungen einzelner Vorzeichen im Lauf der Jahrhunderte. So wurde das Römische Imperium in der Frühzeit des Christentums noch mit der „Hure Babylon“ der Johannes-Offenbarung identifiziert. Späteren Jahrhunderten galt es als das letzte der „vier Weltreiche“, dessen Ende auch den Untergang der Welt markierte. Als die „Hure Babylon“ galt den Reformern um Martin Luther im 16. Jahrhundert dann niemand anderes als die römisch-katholische Kirche.
Auch über die rätselhaften Völker Gog und Magog, deren Auftauchen das Weltenende ankündigen soll, wurde immer wieder spekuliert. In der Offenbarung ziehen sie mit dem Satan ins letzte Gefecht. Es gab immer wieder Versuche, sie in der realen Welt zu verorten, im Mittelalter etwa vermutete man sie hinter den Mongolen.
Die Errechnung des Datums
Viel Platz gibt der Autor den Bemühungen vieler jüdischer, gnostischer und christlicher Gelehrter, den Zeitpunkt des Weltgerichts zu bestimmen. Etwa zu Zeiten Karls des Großen (747/748-814) war das Datum der kommenden (und noch immer für die nächste, erlebbare Zeit erwarteten) Wiederkunft Christi und das Ende der Welt ein großes Thema, das den Kaiser selbst bis an sein Ende beschäftigte.
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Ihren Ausdruck fanden die Endzeitängste in zahllosen, teils äußerst drastischen bildlichen Darstellungen: „Fast jede Westwand einer mittelalterlichen Kirche stellte den Gläubigen mit der Imagination des Jüngsten Gerichts die Seligkeit der Erlösten, den Höllensturz der Verdammten vor Augen“, so Fried in „Dies Irae“. Ab dem 12. Jahrhundert gab es darüber auch dramatische Inszenierungen. Antichrist- und Weltgerichtsspiele - oft mit antijüdischem Tenor - sollten den Gläubigen das Endzeitgeschehen vor Augen führen. Die „Bekehrung“ der Juden galt als ein weiteres Zeichen für die baldige Wiederkehr Christi.
Neuzeitliche Furcht vor dem Weltenende
Auch die Neuzeit kannte die Furcht vor dem Weltenende. Selbst der Astronom, Naturwissenschaftler und Theologe Johannes Kepler (1571-1630) sei „nicht frei von Kometenfurcht“ als Zeichen des nahenden Untergangs gewesen, schreibt der Historiker. Er schildert, wie die Idee des Weltuntergangs die Renaissance „überstand“, und die Rolle, die Motive und Zuschreibungen rund um Apokalypse und Antichrist im Konfessionskonflikt des 16. Jahrhunderts spielte: „Luther selbst erwartete für bald das Gericht; der Antichrist war ihm schon erschienen. Er vermutete ihn im Papsttum.“ Die Reformation selbst sei ein „endzeitliches Geschehen“ gewesen, schreibt Fried.
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Vom „Säurebad der Aufklärung“ schlägt der Autor den Bogen bis in die heutige Zeit: „Ein Weltuntergang wurde kaum mehr befürchtet; er wurde beiseitegeschoben“, so Fried über die vorherrschende Haltung seit dem 18. Jahrhundert. Dennoch kommt er zu dem Ergebnis, dass die Angst vor der Endzeit keineswegs, wie man annehmen könnte, mit dem Fortschreiten von Aufklärung und Wissenschaft verschwunden sei. Vielmehr seien Weltuntergangsszenarien in der Vorstellungswelt der modernen Menschen fest verankert, wie man auch am Erfolg zahlreicher dem Thema gewidmeter Filme, Bücher und TV-Serien erkennen könne.
Weltuntergang als westliches Phänomen
Auch im alltäglichen Sprachgebrauch finden sich Bezüge zur Apokalypse wieder, wie Fried ausführt: So berichten Überlebende von Katastrophen oder Terroranschlägen häufig, es sei gewesen wie das „Jüngste Gericht“ oder „das Ende der Welt“. Fried weist darauf hin, dass in nicht westlichen Gesellschaften anders formuliert wird: So beschreiben etwa Katastrophenopfer aus Japan ihre Erlebnisse ohne jeden Hinweis auf eine Weltuntergangssituation. Stattdessen werden dort etwa Formulierungen verwendet wie: „Es war, als sei die Sonne vom Himmel gefallen.“
Im jüdisch-christlich geprägten Westen hingegen werde selbst in Trivialliteratur wie Krimis und Horrorromanen oft und gern die Apokalypse heraufbeschworen - das geht bis hin zu „sintflutartigen Regenfällen“ im ganz normalen Wetterbericht. Es scheint also, als habe der Weltuntergang doch noch nicht ausgedient, so Fried: „Drängt aus den Tiefenschichten des kulturellen Gedächtnisses ein Endzeitwissen nach oben, eine seit alters, von Generation zu Generation verinnerlichte Erwartung?“
„Dies Irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs“ wird wissenschaftlichen Standards gerecht und ist damit natürlich keine leichte Kost. Wer sich für Geschichte in einem größeren Maßstab interessiert und umfassende Recherche und liebevolle Illustration zu schätzen weiß, wird das Buch aber mit Sicherheit sehr gerne lesen.
Johanna Grillmayer, religion.ORF.at
Mehr dazu:
- Welt doch nicht untergegangen (news.ORF.at; 21.12.2012)