Ein Platz im Leben

Nachdem mein Vater gestorben war, dachte ich, gut, ich halte mich an die Trauerphasen. Ich habe sie alle durchlaufen, brav wie nach Lehrbuch, ich war traurig, dann wütend, dann hatte ich Sehnsucht. Das Problem ist, dass diese Trauerphasen eine zeitliche Limitierung suggerieren: Also ich bin vier Wochen traurig, dann vier Wochen wütend und so weiter.

Gedanken für den Tag 27.10.2017 zum Nachhören:

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Aber so läuft das nicht. Nach der dritten Phase kommt nämlich plötzlich wieder Phase eins. Trauer hält sich an kein Lehrbuch. Das zu akzeptieren war schwer für mich. Weil man das Gefühl bekommt zu versagen. Ich dachte, alle anderen schaffen es und kommen weiter und nun bin ich nach einem Jahr wieder so traurig. Das kann einen unglaublich unter Druck setzen. Aber Trauer kommt in Wellen. Trauer hat keine Deadline. Man kann manches nicht ungeschehen machen. Der Tod meines Vaters gehört nun zu meinem Leben. Er bedeutet nicht, dass dieses Leben nicht trotzdem ein erfülltes und glückliches sein kann.

Saskia Jungnikl
ist Journalistin und Autorin

Trauer ist ein Grundgefühl

Ich habe von mir selbst erwartet, dass ich die Trauer hinter mich bringen kann und dann geht es mir wieder gut. Dann bin ich wieder die Alte. Aber wie soll das denn gehen? Wenn solche Einschnitte in das Leben nicht etwas hinterlassen, wenn sie einen nicht verändern, das wäre doch viel schlimmer. Ich erinnere mich ja auch an die großen und schönen Dinge, die ich mit meinem Vater erlebt habe. Und natürlich werde ich mich immer an seinen Tod erinnern.

Trauer ist ein Grundgefühl. Sie ist in meinem Leben vorhanden und in dem Leben von fast jedem Menschen. Die Welt ist voll von Menschen, die trauern. Was viele gemein haben, sind Stille und Unsicherheit. Es fällt schwer darüber zu reden und doch ist manchmal nichts so hilfreich, wie das Gefühl verstanden zu werden. Trauer verändert sich. Wir verändern uns und natürlich auch unsere Emotionen. Ich bin heute auch noch manchmal traurig. Aber die Trauer über seinen Tod dominiert nicht mein Leben. Sie hat ihren Platz in meinem Leben – so wie viel Schönes auch.

Buchhinweis:

Saskia Jungnikl, „Eine Reise ins Leben oder wie ich lernte, die Angst vor dem Tod zu überwinden“, Fischer-Verlag

Musik:

Ingolf Turban/Violine und Jean Jacques Dünki/Klavier: „Nocturne op. 51 Nr. 3 - für Violine und Klavier“ von Jean Sibelius, arrangiert von Michael Press
Label: Claves CD 50-8917