Im Land der Verdammung

Trauer, das bedeutet im Exil zu leben, in einem „Land der Verdammung“, sagte der israelische Schriftsteller David Grossman einmal. Er hat dieses Land der Verdammung kennengelernt, nachdem Uri, sein jüngster Sohn während des Libanon-Krieges 2006 von einer Rakete getötet worden war. Er war gerade zwanzig Jahre alt geworden.

Gedanken für den Tag 22.10.2016 zum Nachhören:

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Aus der Trauer um seinen Sohn entstand David Grossmans Buch „Aus der Zeit fallen“, zu dem er sich zunächst gar nicht öffentlich äußern wollte. Und das Staunen darüber, das am Ende dieses Buches ausgesprochen wird – „dass ich dafür die Worte fand“ –, dieses Staunen ist wohl auch das Staunen eines Schriftstellers, dass er aus dem Land der Verdammung und des Verstummens heraus Worte gefunden hat, Worte für seine Trauer und Worte für ein poetisches Buch.

Brigitte Schwens-Harrant
ist katholische Theologin, Germanistin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung „Die Furche“

Jeder trägt sein eigenes Leid

Trauer vereinsamt Menschen, vereinzelt Mann und Frau, auch die beiden, die da am Anfang zusammensitzen und sich erinnern. An diese Nachricht, die sie aus der Zeit fallen ließ. An das Schweigen, das dieser Nachricht folgte. „Nach und nach erstarben die Worte. / Ein Haus in dem langsam alle Lichter erloschen, / bis Dunkelstille fiel –“

Aus dieser Starre setzt David Grossman den Vater in Bewegung. Ihm folgen andere, die auch trauern. Da ist der Herzog, die Hebamme, die Netzflickerin, der Schuster, ein ganzer Chor der Trauernden ist da auf einmal unterwegs, jeder trägt sein eigenes Leid, aber er trägt es vor. Eine „Erzählung für Stimmen“ nannte Grossman sein wundersames Buch, das aus der Trauer entstanden ist, wie eine antike Tragödie mutet es zunächst an, gesprochen klingen Klagelieder an. Und jeder von ihnen, die Hebamme und der Schuster, der greise Lehrer, die Netzflickerin und der Herzog, der Chronist und seine Frau – jeder von ihnen ruft schließlich flüsternd nach seinem Kind. Und weiß am Ende: „Er ist tot. / Er ist tot, doch sein Tod, / sein Tod, / ist nicht tot.“

Buchhinweis:

David Grossman, „Aus der Zeit fallen“, Hanser Verlag

Musik:

Tatjana Nikolajewa/Klavier: „Variatio 15 - Canone alla Quinta; Der Schlaf ist der Spiegel des Todes“ aus: Goldberg - Variationen BWV 988 „Aria mit 30 Veränderungen aus Clavierübung IV“ von Johann Sebastian Bach
Label: Relief CR 861006