Ruhe am siebenten Tag

Als ich ein Kind war, hatte der Sonntag immer schon am Samstagabend begonnen. Wir Buben mussten alle Schuhe putzen und dann im hölzernen Wäscheschaff baden. Der Boden der Stube wurde aufgewaschen, alles duftete nach Seife. Die Mutter hat das Sonntagsgewand über den Sessel gehängt, den dunkelblauen Anzug, den habe ich nur am Sonntag anziehen dürfen, wenn wir in die Kirche gegangen sind.

Gedanken für den Tag 29.4.2017 zum Nachhören:

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Nur am Sonntag hat es mittags einen duftenden Braten gegeben. Und wirklich Ruhe. Es war der einzige Tag, an dem ich meinen Vater lesen gesehen habe. Am Sonntag haben wir manchmal mitsammen gespielt. „Mensch ärgere dich nicht.“ Während der Woche hatte er nie Zeit dafür gehabt und am Abend war er zu müde.

Hubert Gaisbauer
ist Publizist

Ruhe will nichts

Wenn ich am Sonntag die Werkstatt des Vaters betrat, erschien auch sie mir erfüllt von einer feiernden Ruhe. Sogar die Maschinen und das Werkzeug strömten diese Ruhe aus. Es war, als schöpften auch sie Kraft für die Arbeit einer neuen Woche.

Der Sonntag gehört zu den Anstrengungen der Woche wie die Rast auf dem Gipfel zu einer Bergwanderung. Die Ruhe achtsam auskosten lernen, den Sonntag als „Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“ genießen, um dabei auch die anderen Früchte des Lebens auf dieser uns anvertrauten Erde in einem neuen, ungewohnten Licht sehen!

Ruhe ist mehr als Erholung für neuerliche Arbeit. Sie bietet Platz für Feier und Spiel und ist der arglose Nährboden, auf dem die Ideen wachsen und reifen können. Ruhe will nichts. Wie die Liebe. Sie erfüllt keinen Zweck, so hat sie Sinn. Und alle Arbeit ist leer, wenn die Ruhe fehlt. Und die Liebe.

Musik:

Mark Lubotsky, Violine: „Ciacona“ aus: Partita No. 2 in D minor / d moll BWV 1004 von Johann Sebastian Bach
Label: Brilliant Classics 93102/11