Lyrik und Liebe im Islam

Viele Menschen aus dem Westen haben einen sehr verklärten orientalistischen Blick auf den Islam und den Orient, wenn sie nicht sowieso zu denjenigen gehören, die beides als Barbarei abtun.

Gedanken für den Tag 27.5.2017 zum Nachhören:

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Die Lyrik in der islamischen Welt stellt man sich ganz blumig und die Liebe geheimnisvoll hinter einem Schleier vor. Alles irgendwie bedeckt. In dem Buch „Die Flügel meines schweren Herzens“, Lyrik arabischer Dichterinnen vom 5. Jahrhundert bis heute finden sich Frauen wieder, die diesem Bild und Vorurteil keineswegs entsprechen.

Seyran Ateş
ist Menschenrechtsanwältin, Feministin und Muslimin

Laila Bint Tarif At-Taghlibia z.B., gestorben 815, war die Schwester eines gefürchteten Anführers einer Sekte, die sich vom Islam abgespalten hatte. Im Kampf gegen den abbasidischen Kalifen Harun ar-Raschid im heutigen Nordost-Syrien wurde ihr Bruder von den Kriegern des Kalifen geköpft. Daraufhin legte sie selbst eine Rüstung an und zog gegen Raschids Heer in den Krieg, wurde jedoch von dessen Führer verspottet, woraufhin sie sich voller Scham zurückzog und Klagegedichte über ihren Bruder verfasste.

Oder Umm Djafar Bint Ali Al-Hashimia, antwortet mit folgendem Gedicht einem Mann, der sie wütend beschimpft, weil sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte:

Geh von uns mit deinem Zorn!
Du bist kein Gemahl für mich

Du bist weder reich
noch gottesfürchtig.

Du willst mich besitzen mit
schwachem Verstand und störrischer Dummheit.

Und Muhyiddin Ibn Arabi schreibt in dem Buch „Abhandlung über die Liebe“ aus dem Jahre 1238:

Von der Liebe sind wir ausgegangen,
Gemäß der Liebe sind wir gemacht,
Zur Liebe zieht es uns,
Der Liebe geben wir uns ganz hin.

Seine unerschöpflichen reichhaltigen Abhandlungen führen zum wahren Leben in der Liebe. Er besingt die Liebe, ruft zur Liebe auf. Seine Hymne auf die Liebe beginnt mit den Worten:

Die Liebe ist jenes Band,
Das Gott wie Mensch berührt,
Mag auch unsere Wissenschaft
Davon nichts wissen.

Buchhinweis:

Seyran Ates, „Selam, Frau Imamin“, Verlag Ullstein

Musik:

Alfred Brendel/Klavier: „Warum?“ aus: FANTASIESTÜCKE FÜR KLAVIER, op. 12 von Robert Schumann
Label: Philips 4110492