Regeln und Zwänge

Unter welchen Bedingungen darf man jemanden zum Abendessen einladen? Wer muss dann neben wem sitzen? Wer darf das Wort an wen richten und wie?

Gedanken für den Tag 17.7.2017 zum Nachhören:

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Die Gesellschaft, die Jane Austen in ihren Romanen Anfang des 19. Jahrhunderts beschreibt, ist geografisch und sozial ziemlich überschaubar: ländliche Oberschicht im Süden Englands. Klare Regeln herrschen da, und wer dagegen verstößt, läuft Gefahr, aus der Familie, aus der Erbfolge, aus der Gesellschaft verbannt zu werden. Jane Austen erzählt davon in einer Präzision, die ihresgleichen sucht.

Brigitte Schwens-Harrant
ist katholische Theologin, Germanistin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung „Die Furche“

Subtil gegen Zwänge anschreiben

Aber warum sollte man so etwas, 200 Jahre nach dem frühen Tod der Schriftstellerin am 18. Juli 1817, heute noch lesen? Solche Regeln sind in der gegenwärtigen Gesellschaft doch ohnehin nicht mehr gültig. Anstand und Sitten von damals jagen uns ein müdes Lächeln über das Gesicht, die wir in einer pluralen, toleranten Gesellschaft zu leben meinen. Zum Abendessen kann ich einladen, wen ich will. Verlobte dürfen sich Briefe schreiben und gemeinsam in den Wald gehen und auch die, die nicht verlobt sind, dürfen das – und man muss sich überhaupt nicht mehr verloben und auch nicht heiraten. Warum also Jane Austens literarische Auseinandersetzung mit diesem überholten Regelwerk lesen?

Eine Antwort kann sein, dass man lesend von der Zeit damals erfährt, weil Austen so präzise beobachtet und beschreibt, weil sie in ihrer Literatur die Gesellschaft ihrer Zeit abbildet. Eine andere mögliche Antwort scheint mir aber wichtiger: in Austens Romanen kann man lesen – übrigens auf eine sehr vergnügliche Weise –, wie man in einer Gesellschaft voller Zwänge subtil gegen diese anschreiben kann. Man kann über manche auch lachen – und damit haben sie schon an Strenge verloren. Hand aufs Herz, auch unsere Gegenwart hat ihre Zwänge, bedient Vorurteile, ordnet Menschen zu und ein. Jane Austens scharfer Blick hilft so manches kritisch zu hinterfragen.

Musik:

Filmorchester unter Leitung von David Snell: „End titles“ aus: EMMA / Original Filmmusik von Rachel Portman / V: Jane Austen
Label: Miramax / Hollywood Records 1620692