Wo du erzählst, wird Himmel

Zum 150. Geburtstag von Else Lasker-Schüler: Die Dichterin Else Lasker-Schüler hat sich einmal vorgestellt als „in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam im Rheinland“. Zur Welt kam sie heute vor 150 Jahren als jüngstes von sechs Kindern eines jüdischen Bankiers und seiner Frau.

Gedanken für den Tag 11.2.2019 zum Nachhören:

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Aus dem Orient und aus der hebräischen Bibel stammen viele Bilder ihrer intensiven, einzigartigen Liebesgedichte. Eines der bekanntesten heißt „Ein alter Tibetteppich“. Es beginnt mit der aus dem Hohelied entlehnten Verszeile „Deine Seele, die die meine liebet“; diese beiden Seelen verschmelzen nicht miteinander, sondern sind verwirkt, verwoben zu einem „Teppichtibet“. Diese mehrdeutige Wortkombination sagt, dass die beiden in ihrer Eigenständigkeit wahrnehmbaren Seelen zu einem kunstvollen Ganzen verwoben sind. Die zweite Strophe spricht von zwei verliebten Farben, allerdings nicht im Teppich, sondern am Himmel: zwei strahlende Sterne.

Cornelius Hell
ist Literaturkritiker und Übersetzer

Ein alter Tibetteppich

Deine Seele, die die meine liebet,
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.

Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit,
Maschentausendabertausendweit.

Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron,
Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon?

„Buntgeknüpfte Zeiten“ – das nimmt das Anfangsbild des Teppichs wieder auf. Aber dazwischen verwendet Else Lasker-Schüler eine Wortneuschöpfung wie „Maschentausendabertausendweit“, die ebenso wenig in die Alltagssprache übersetzbar ist wie die Verszeile „Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron“. Klangreich und voller sinnlicher Bilder inszeniert dieses Gedicht die Liebe. Und bleibt wie die Liebe ein unausdeutbares Geheimnis. Darum lässt es einen nicht los – wie die Liebe, aus der man lebt, der man nachtrauert oder die man immer wieder sucht.

Buchhinweis:

Cornelius Hell, „Ohne Lesen wäre das Leben ein Irrtum. Streifzüge durch die Literatur von Meister Eckhart bis Elfriede Gerstl“, Verlag Sonderzahl (ab März 2019)

Musik:

Patrick Gallois/Flöte und Pascal Roge/Klavier: „Allegro malinconico - 1. Satz“ aus: Sonate für Flöte und Klavier von Francis Poulenc
Label: Decca 4215812