Sensibler Grenzüberschreiter

Zum 500. Todestag von Leonardo da Vinci: „Er glich einem Menschen, der in der Finsternis zu früh erwacht war, während die anderen alle noch schliefen“, schrieb Sigmund Freud über Leonardo da Vinci.

Gedanken für den Tag 29.4.2019 zum Nachhören:

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Diese Woche jährt sich dessen Todestag zum 500. Mal und die Welt staunt immer noch, was dieser Renaissancemensch während einer Lebenszeit von 67 Jahren alles zu Wege bringen konnte. Denn Leonardo da Vinci betätigte sich als Künstler, Kunsttheoretiker, Naturforscher, Erfinder, Anatom, Geograf, Mathematiker, Bühnenbildner und vieles mehr. Dabei waren die Voraussetzungen nicht die besten.

Johanna Schwanberg
ist Direktorin des Dom Museum Wien

Den eigenen Weg gehen

Geboren wurde er 1452 in der toskanischen Kleinstadt Vinci, in der Nähe von Florenz. Als uneheliches Kind des Notars Piero da Vinci und des Bauernmädchens Caterina durfte er weder die Lateinschule besuchen noch konnte er in die Fußstapfen seines Vaters treten und Notar werden. Später bezeichnete er sich selbst aufgrund der fehlenden akademischen Ausbildung augenzwinkernd als „Mann ohne Gelehrsamkeit“, dafür aber als „Schüler der Erfahrung“.

Im Vordergrund seines Schaffens stand nicht überliefertes Wissen, sondern eine unersättliche Neugier. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln hat Leonardo versucht, den Menschen und die ihn umgebende Umwelt zu beobachten und zu begreifen. Besonders packend: die tausende Blätter umfassenden Notizbücher, vollgekritzelt mit Zeichnungen und Spiegelschriftnotizen. Gleichermaßen aufschlussreich wie amüsant sind dabei die Einträge, die wie gegenwärtige Bucket- oder To-Do-Listen erscheinen. Leonardo schreibt hier akribisch auf, was er noch alles tun oder wissen möchte. Etwa „Beschreibe die Zunge des Spechts“ oder „Vermesse Mailand und seine Vororte“.

Mich fasziniert Leonardos Biografie, weil sie zeigt, dass im Leben oft das zur großen Chance wird, was zunächst als Widrigkeit erscheint. Leonardo nutzte die Tatsache, dass er nicht den traditionellen väterlichen Weg einschlagen durfte als Freiraum. Um seinen eigenen Weg zu gehen und das zu tun, was ihn wirklich interessierte. Somit schuf er das umfassendste und kreativste Lebenswerk der europäischen Kulturgeschichte.

Musik:

Sirinu: „Io vegio la mia vita ia finire“ - für Singstimmen und Instrumente
Label: Hyperion CDA 66814