In der Fremde

Was denkt der Sündenbock in der Wüste über seinen Stall? Nur das Beste. Bettet er seinen Kopf zur Nacht auf einen Stein, träumt er das Verlassene zum Schlaraffenland? Die Karte wird realer als die Landschaft, die Vorstellung konkreter als der letzte Eindruck.

Gedanken für den Tag 20.9.2018 zum Nachhören:

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Der Mensch in der Fremde erinnert und berichtet. Das Erzählte überflügelt das Erlebte. Bald glauben auch andere an die geschönte Momentaufnahme. Die Welt indes hat sich weitergedreht. Und was so niemals existiert hat, das kann auch niemand nirgends finden. Außer im Film und auf der Bühne. Endlich habe ich es auch gesehen, Rodgers & Hammerstein´s: The Sound of Music! Das Musical, das für die Mehrheit der US-Amerikaner wie nichts anderes für Österreich steht. Ich musste 39 Jahre alt werden und den Atlantik überqueren. „Ob Österreich immer noch so ist?“, wollen etliche wissen. Nicht nur von mir, ich habe viele getroffen, die von den Fragen schon ziemlich genervt waren. Aus Salzburg kannte ich die geführten Touren für englischsprachige Touristen. Ich dachte an ein süßliches Klischee. Ein bisserl Jodeln im Dirndl und der Krachledernen vor saftigen Weiden. Was ging mich das an?

David Weiss
ist Schriftsteller

„Edelweiss“

Dann traf ich Inger aus Dänemark, die nicht nur gern Schi fährt, sondern dafür auch regelmäßig die Trapp Family Lodge in Vermont besucht. Weil ich als Österreicher keinen Schimmer von dem Stück (oder dem Film) hatte, sagte sie, ich müsste mir das unbedingt ansehen. Die Trapp Familie verkörpert Österreich. Auf den ersten Blick eine Schimäre aus westösterreichischer und bayrischer Folklore. Die Gattin war von der Vorstellung, fröhliches Trällern im Alpenglühen zu bestaunen, zwar nicht wirklich begeistert, aber voller Erwartung eines heiteren Stelldicheins mit der leichten Muse gingen wir ins Theater. Der erste Akt erfüllte all unsere Erwartungen. Jodeldüüh, Herzeleid und Heißa hopsasa. Wir fragten uns, ob das wirklich ein Stück über den Anschluss 1938 war.

Pause. Der nette Barkeeper war aus irgendeinem Grund der Meinung, dass ich vor dem Finale im zweiten Akt einen dreifachen Bourbon in mein Cola brauchte. Vor riesigen Hakenkreuz-Fahnen sang Vater Trapp dann „Edelweiss“. „Edelweiss“, das ist das Abschiedslied der Familie Trapp an ihre Heimat, an das alte Österreich, das sie liebten und kannten, und in das sie nie wieder zurückkehren würden. Wenn ein Wiener heute bei „Edelweiss“ zu weinen beginnt, dann bedeutet das zweierlei: Erstens, dass die Inszenierung wirklich gut ist. Und zweitens, dass die Zukunft fortan getrennt verläuft und für alle ungewiss ist.

Musik:

Julie Andrews, Christopher Plummer und Filmorchester unter der Leitung von Irwin Kostal: „Edelweiss“ aus: THE SOUND OF MUSIC / Original Filmmusik von Richard Rodgers, Oscar Hammerstein und Maria Augusta Trapp
Label: RCA/Legacy/Sony BMG 82876725592