Glaube und Vernunft

Für Friedrich Schleiermacher war es gar keine Frage: Die Theologie gehört an die Universität, gehört in den Kreis der Wissenschaften. Denn es kann keine Religion ohne kritische Reflexion, ohne vernünftiges Denken geben und es soll auch umgekehrt keine Wissenschaft geben, die nicht offen ist für die Fragen der Religion.

Gedanken für den Tag 23.11.2018 zum Nachhören:

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Das war ja jahrhundertelang selbstverständlich gegeben, aber durch die Aufklärung begann die Verbindung zu bröckeln. Glaube und Vernunft, Wissenschaft und Religion haben zunehmend nichts mehr miteinander zu tun. Gefördert wurde dieses Auseinanderdriften durch die entstehende kritische Bibelwissenschaft, die die Grundlagen des christlichen Glaubens erforschte. Ebenso kritisch hinterfragt wurde die traditionelle Lehre der Kirche, ihre Dogmen, ihre Bekenntnisse. Aber Schleiermacher war davon überzeugt, dass es nicht so kommen dürfe, dass „das Christentum mit der Barbarei und die Wissenschaft mit dem Unglauben“ geht. Aber wie sollte, wie konnte christlicher Glaube noch wissenschaftlich beschrieben werden, wenn es nicht mehr möglich ist, sich auf überkommene Autoritäten wie die Heilige Schrift oder die Lehre der Kirche zu berufen?

Michael Bünker
ist Bischof der evangelischen Kirche in Österreich

Der Glaube fragt nach Vernunft

In seinem Hauptwerk, der „Glaubenslehre“ aus dem Jahr 1821 schlägt Schleiermacher einen neuen Weg ein und geht vom religiösen Grundgefühl des Menschen, vom frommen Selbstbewusstsein aus. Der religiöse Mensch ist nun der Ausgangspunkt der Glaubenslehre. Alle Aussagen des religiösen Selbstbewusstseins sind immer Aussagen über Gott, über den Menschen oder über die Welt.

Auf das Titelblatt setzt er Worte des frühmittelalterlichen Theologen Anselm von Canterbury: Neque enim quaero intelligere ut credam, sed credo ut intelligam. Der Glaube kommt nicht aus der Vernunft, aber er fragt immer nach ihr. Ich glaube, um zu verstehen. Mit Schleiermacher sind Religion und Glaube in der Neuzeit angekommen.

Musik:

Andras Schiff/Klavier: „Lied ohne Worte op. 19 Nr. 5 in fis-moll für Klavier“ aus „Lieder ohne Worte“ - Presto agitato von Felix Mendelssohn Bartholdy
Label: Decca 421119-2