Krankheit ändert die Perspektive

Ich hatte einmal das zweifelhafte Vergnügen, einige Monate das Bett hüten zu müssen, davon mehrere Wochen im Krankenhaus. Die langsame Rückkehr ins normale Leben bescherte mir Herausforderungen, wie ich sie vorher noch nicht gekannt hatte.

Gedanken für den Tag 6.2.2019 zum Nachhören:

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Ich erinnere mich zum Beispiel an meine erste Fahrt mit der Straßenbahn - alleine! Das war aufregend. Als ich einstieg, hatte ich nur zwei Gedanken. Erstens: Wo ist hier ein freier Sitzplatz? Und zweitens: Hoffentlich stößt niemand an mich an! Ich ertappte mich als 39-Jährige mit den Gedanken einer 80-Jährigen.

Susanne Kummer
ist Bioethikerin

Wenn alle anderen Sinne am Ende sind

Krankheit hat immer etwas mit Kontrollverlust zu tun, diese Unsicherheit im eigenen Körper, der wie fremd wird, weil man sich auf ihn nicht wie sonst verlassen kann. Und plötzlich muss man so viel Zeit für ganz „normale“ Handgriffe wie das Anziehen oder Stiegen steigen einplanen.

Die Verlangsamung hat aber auch ihre kostbaren Seiten. Entscheidend in dieser Phase des langsamen Zurückfindens in eine normale Welt sind liebevolle Menschen, die einem - gut dosiert – wieder etwas zutrauen – einen Spaziergang, einen Kaffeehausbesuch. Damit man sich selbst nach und nach wieder traut und vertraut - damit man wieder bei sich selbst zu Hause sein kann. Krankheit lehrt Dankbarkeit. „Heute bin ich zum ersten Mal aufgestanden.“ „Jetzt geht das Essen schon im Sitzen.“ „Und bald wage ich mich mit ersten Schritten auf den Gang…“. Für einen Kranken zählen solche kleinen Erfolge. Das, was bisher wie selbstverständlich war, empfindet man nun als Geschenk.

Ich habe noch keine Lust fernzusehen, das ist mir noch zu anstrengend. Aber Radio hören: das geht! Das Hören, heißt es, ist jener der fünf Sinne, der uns bis zum Schluss begleitet, wenn alle anderen Sinne schon am Ende sind. Wenn Radiojournalistinnen und -journalisten wüssten, wie sehr sie durch ihre Arbeit kranken Menschen helfen, den Anschluss an die Welt da draußen nicht zu verlieren! Eine Sendung über ein weit entferntes, unbekanntes Land und seine Menschen, ihre Freuden und ihre Leiden. Ein schöner literarischer Text, eine spannende Reportage, und dann Musik. Musik, die die Seele mitnimmt, ihr Flügel gibt, auch wenn der Körper noch schwer ist.

Musik:

Gregor Zubicky/Oboe, Terje Tonnesen/Violine, Lars Anders Tomter/Viola und Truls Otterbech Mork/Violoncello: „Rondeau: Allegro - 3. Satz“ aus: Quartett für Oboe, Violine, Viola und Cello in F-Dur KV 370 (368b) von Wolfgang Amadeus Mozart
Label: Simax PSC 1022