Spurensuche des vergangenen Jahrhunderts

Zum 50. Todestag von Karl Jaspers: „Mir wurde“, notiert Karl Jaspers 1951, "damals deutlich, welch radikaler Unterschied sei zwischen eigentlichen Wissenschaften und Philosophie.“ Damit umreißt Jaspers nicht nur die Eigenart seines Denkens, sondern beschreibt auch dessen Rahmen.

Gedanken für den Tag 25.2.2019 zum Nachhören (bis 24.2.2020):

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Im Rückblick wird deutlich, dass der in den 1950er und 1960er Jahren wohl prominenteste deutschsprachige Philosoph und politische Intelektuelle eine Vorstellung von Philosophie entwarf, die zugleich seine Originalität ausmacht. Der Freund und Lehrer von Hannah Arendt begreift Philosophie als eine spezifische Lebenspraxis, die einen weiten Bogen spannt von der konsequenten Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz bis zum Eingriff in das politische Leben. Die Philosophie ist beides: stille Einkehr in die Existenz und öffentliches, riskantes vernehmliches Wort.

Wolfgang Müller-Funk
ist Literatur- und Kulturwissenschaftler

Zweites Leben nach 1945

„Die Philosophie erhellt den Lebensgrund, das was ich selbst bin und will, und was an den Grenzen fühlbar wird“ liefert indes keine zwingende, allgemeingültige Erkenntnis. Für Jaspers ist dieser Lebensgrund, ähnlich und anders wie für seine Schülerin Arendt, immer auch schon politisch amalgamiert.

Karl Jaspers, 1883 im norddeutschen Oldenburg geboren, ist ein hochkarätiger Zeitzeuge und philosophischer Begleiter des 20. Jahrhunderts und seiner Katastrophen. Seine akademische Karriere begann er als Psychologe, nicht als Philosoph. Die politischen Erfahrungen, auch die eigenen, machten ihn zu einem Denker, der in das Leben der Polis eingreift. Schon bald gerät der widerspenstige Einzelgänger – seine Frau entstammt einer angesehenen jüdischen Bürgerfamilie – in den Gegensatz zum nationalsozialistischen Regime. 1937 wird der Heidelberger Universitätsprofessor seines Postens enthoben.

Der Zusammenbruch 1945 rettet Karl und Gertrud Jaspers. Es ist sein zweites Leben als Existenzphilosoph und als politischer Intellektueller der jungen Bundesrepublik, der sich pointiert mit Atombombe, Hochschulreform und der Frage der Schuld der Deutschen am Nationalsozialismus zu Wort meldet.

Musik:

Heinrich Schiff/Violoncello und Elisabeth Leonskaja/Klavier: „Andante - 3. Satz“ aus: Sonate für Violoncello und Klavier in g-moll op. 19 von Sergej Rachmaninoff
Label: Philips 4127322