Ketzer, Sektierer und Mystiker

Zum 100. Todestag von Gustav Landauer: „Die Geschichte der Weltanschauungen, der Philosophien wie der Religionen, könnte in zwei Lager geteilt werden...

Gedanken für den Tag 16.5.2019 zum Nachhören (bis 15.5.2020):

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Auf der einen Seite solche, die sich schnell bei etwas Positivem beruhigten: die Priester und die Gründer philosophischer Systeme als Bessere und die Pfaffen und Philosophieprofessoren als weniger Gute; auf der anderen Seite solche, die leidenschaftlich nach Ruhe begehrten, aber durch nichts beruhigt werden konnten: die Ketzer, Sektierer und Mystiker.“

Cornelius Hell
ist Literaturkritiker und Übersetzer

Bilderreiche Sprache

Diese Unterscheidung trifft der deutsche Schriftsteller und Denker Gustav Landauer in seinem 1903 erstmals erschienenen Buch „Skepsis und Mystik“. Und es ist klar, dass er selbst zur zweiten Kategorie gehört – zu denen, die durch nichts beruhigt werden konnten: den Ketzern, Sektierern und Mystikern.

Das Buch ist, wie der Untertitel klarstellt, mit Blick auf das dreibändige Werk „Beiträge zu einer Kritik der Sprache“ seines Freundes Fritz Mauthner geschrieben. In der Auseinandersetzung mit dem Denken dieses Sprachphilosophen und Schriftstellers entwickelt Gustav Landauer seine eigene Sicht auf die Welt und den Menschen. Sehr gewandt setzt sich Landauer mit vielen Denkmodellen auseinander; stark ist der Mystiker und Theologe Meister Eckhart präsent, den Landauer übersetzt und herausgegeben hat, vor allem wenn es um das Individuum und sein Verhältnis zur Welt geht. „Je tiefer ich in mich selbst heimkehre, umso mehr werde ich der Welt teilhaftig“, schreibt Gustav Landauer; oder man müsse „in die mystische Abgeschiedenheit flüchten, um mit ihr (der Welt) eins zu werden“.

Landauer ist vorsichtig mit abstrakten Begriffen, selbst das Wort „Individuum“ ist ihm suspekt, oder in Landauers eigenen Worten gesagt: „Individuum ist ein Starres und Absolutes als Ausdruck für ein sehr Bewegliches und Verbundenes.“ Landauers Sprache ist bilderreich und emphatisch, auch wenn es um Denkmodelle geht, und immer wieder knüpfen seine Argumente an Erfahrungen an. Als den herrlichsten Weg, um die Unendlichkeit in uns selbst zu entdecken, preist er die Liebe – mit den Worten: „Es ist die tiefste und glühendste Welterkenntnis, die beste, die uns zuteil ward, wenn der Mann das Weib erkennt, wenn die Welt in einer neuen Gestalt aufblitzen will und der Feuerblitz durch zwei Menschen hindurchgeht.“

Buchhinweise:

  • Cornelius Hell, „Ohne Lesen wäre das Leben ein Irrtum. Streifzüge durch die Literatur von Meister Eckhart bis Elfriede Gerstl“, Verlag Sonderzahl
  • „Meister Eckhart. Mystische Schriften“, Übersetzung und Nachwort von Gustav Landauer, Insel Verlag
  • Gustav Landauer, „Skepsis und Mystik“, Büchse der Pandora
  • Gustav Landauer, „Die Revolution“, Edition AV
  • Gustav Landauer, „Aufruf zum Sozialismus“, Inktank Publishing
  • Gustav Landauer, „Shakespeare“, Hansebooks
  • Victor Klemperer, „Man möchte immer weinen und lachen in einem". Revolutionstagebuch 1919“, Aufbau Verlag

Musik:

Tomas Visek/Klavier: „Shimmy Jazz“ aus: Partita für Klavier von Erwin Schulhoff
Label: Supraphon 1118702131