„Die Welt ist ohne Sprache“

„Die Welt ist ohne Sprache. ‚Sprachlos würde auch, wer sie verstünde.‘“ So schreibt der vor 100 Jahren ermordete deutsche Schriftsteller und Theoretiker Gustav Landauer in seinem Buch „Skepsis und Mystik“.

Gedanken für den Tag 17.5.2019 zum Nachhören (bis 16.5.2020):

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Dass die Sprache ein menschliches Konstrukt ist und die großen Allgemeinbegriffe nicht viel taugen, dass die Erfahrung oft sprachlos und die Welt ein Geheimnis ist – das ist ihm wichtig. Und eher als an Theorien glaubt er an den einzelnen Menschen – an das oft zerstörte, aber dennoch unzerstörbare Menschsein in ihm, das verschüttet sein kann, das man von Masken und Kostümen befreien muss.

Cornelius Hell
ist Literaturkritiker und Übersetzer

Grundbedingung Glück

Der einzelne Mensch ist für Landauer der unhintergehbare Ausgangspunkt der Wahrnehmung und Erkenntnis der Welt. Er greift dabei einen Gedanken von Meister Eckhardt auf: Wenn wir imstande wären, eine Blume ganz und gar zu erkennen, hätten wir die ganze Welt erkannt. Landauer schreibt: „Der Weg, den wir gehen müssen, um zur Gemeinschaft mit der Welt zu kommen, führt nicht nach außen, sondern nach innen. Es muß uns endlich wieder einfallen, daß wir ja nicht bloß Stücke der Welt wahrnehmen, sondern daß wir selbst ein Stück Welt sind. Wer die Blume ganz erfassen könnte, hätte die Welt erfaßt. Nun denn: kehren wir ganz in uns selbst zurück, dann haben wir das Weltall leibhaftig gefunden.“

Dieser anthropologische Ansatz hat für Gustav Landauer auch politische Konsequenzen: Gegen Zwangsgemeinschaften wie den Staat setzt der Anarchist Landauer auf freie Gemeinschaften freier Menschen. Als er gemeinsam mit dem jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber und anderen den „Sozialistischen Bund“ gründete, hat er versucht, eine solche Gegengesellschaft aufzubauen. Die Sozialdemokratie, in der er nur eine neue Form bürokratisch-zentralistischer Vergewaltigung sah, lehnte er ab. Landauer richtet sich auch gegen ein Geschichtsdenken, das die Guillotine als Durchgangsstadium auf dem Weg zur Demokratie oder die Diktatur des Proletariats als Mittel der Beendigung von Ausbeutung akzeptiert. Für Landauer ist das gegenwärtige Glück die Grundbedingung für jedes zukünftige Glück.

Buchhinweise:

  • Cornelius Hell, „Ohne Lesen wäre das Leben ein Irrtum. Streifzüge durch die Literatur von Meister Eckhart bis Elfriede Gerstl“, Verlag Sonderzahl
  • „Meister Eckhart. Mystische Schriften“, Übersetzung und Nachwort von Gustav Landauer, Insel Verlag
  • Gustav Landauer, „Skepsis und Mystik“, Büchse der Pandora
  • Gustav Landauer, „Die Revolution“, Edition AV
  • Gustav Landauer, „Aufruf zum Sozialismus“, Inktank Publishing
  • Gustav Landauer, „Shakespeare“, Hansebooks
  • Victor Klemperer, „Man möchte immer weinen und lachen in einem". Revolutionstagebuch 1919“, Aufbau Verlag

Musik:

Tomas Visek/Klavier: „Walzer für Klavier: Tempo di valse“ von Alois Hába
Label: Supraphon 1118702131