Die Verantwortung für das Wort

Zu Fronleichnam feiert die katholische Kirche die Gegenwart Jesu in der Eucharistie. Aus diesem Glaubenssatz heraus hat sich ein wunderlicher Bildtypus entwickelt. Es ist die Hostienmühle.

Gedanken für den Tag 22.6.2019 zum Nachhören (bis 21.6.2020):

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Der Bildinhalt ist einfach erklärt: Jesus schüttet das Wort Gottes aus dicken Säcken in eine Mühle. In dieser wird es zu Hostien verarbeitet, die unten fein säuberlich herauskommen. D.h. das Wort Gottes, der Inhalt der Bibel, wird in Hostien gepresst.

Elena Holzhausen
ist Diözesankonservatorin der Erzdiözese Wien

Worte als Brot der Seele

In der Betrachtung dieses Motives springt mich zuerst die Skurrilität des Dargestellten an. Im Vergleich verschiedener Hostienmühlen hat sich für mich aber ein dahinterliegender mehrschichtiger Kosmos aufgetan. Es ist das sehr komplexe Verhältnis zwischen Glaubenserfahrung, Bildfindung und Wortfindung. Was glaube ich? Wie stelle ich es dar? Oder stelle ich es überhaupt dar? Und vor allem, was sage ich? Im Betrachten der Hostienmühlen wird mir bewusst, dass die Sprache, die ich für ein konkretes Kunstwerk finde, wiederum mein Denken formt, mein Denken, aber auch das Verständnis jener, mit denen ich darüber spreche. Denn Sprache beschreibt oder benennt nicht nur Beobachtungen, Erfahrungen, und Schlüsse aus diesen. Sie kann durchaus die Kraft haben, Erfahrung anzustoßen oder möglich zu machen.

Durch die Lektüre der Todesfuge von Paul Celan begreife ich das Grauen der Ermordung von Millionen Menschen tiefer und umfassender als in allen Sachbüchern über die Shoa. Beides, Bild und Wort geben dem Erleben eine bestimmte Färbung, eine Tonart, eine Intensität. Mit Worten öffnen wir uns gegenseitig die Türe zur jeweiligen Wirklichkeit. Diese Wirklichkeiten können trennend oder einend sein. In dieser Tatsache liegt meine Verantwortung, behutsam mit meinen Worten umzugehen. Im Sprechen über den Glauben und auch über die Zweifel muss ich eine neue Sprache finden, eine Sprache, in der ich mir ehrlich bleibe und das Gegenüber erreiche. So können Worte zum Brot der Seele werden.

Musik:

Filmensemble unter der Leitung von Antoni Wit: „Générique de fin“ aus dem Film „La double vie de Véronique“ / „Die zwei Leben der Veronika“ von Zbigniew Preisner
Label: RFI musique 97msp06 (3 CD)