Am Anfang steht das „Eine“

Diese Woche begann mit einem Bezug auf den Johannistag, der mit der Sommersonnenwende den an sich längsten Tag und die kürzeste Nacht markiert. Diese Referenz an die Figur Johannes des Täufers soll heute Anlass sein, eine eher entlegene Version der Entstehung der Welt näher zu betrachten.

Gedanken für den Tag 27.6.2019 zum Nachhören (bis 26.6.2020):

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Und zwar handelt es sich um eine Darstellung, die in einem sehr faszinierenden Text der frühchristlichen Tradition beschrieben wurde, im sogenannten Apokryphon des Johannes. Dieses Dokument gehört zu den vielen vielen Texten, die aus unterschiedlichen Gründen nicht Eingang in die Bibel und in die orthodoxe christliche Tradition gefunden haben. In diesem Text gibt es eine sehr verwickelte Darstellung der Entstehung des Kosmos und unserer Welt.

Franz Winter
ist Religionswissenschaftler an der Universität Graz

Befreiung aus der Materie

An deren Anfang steht das „Eine“, der ursprüngliche Geist, der Vater des Alls, unermesslich, unbegrenzt. Aus diesem „Einen“ entfalten sich dann verschiedene Kräfte, die Namen tragen wie „erster Gedanke“, „erste Erkenntnis“, die dann mit der „Vernunft“ eine Art geistiges All schaffen. Das Ganze bildet am Anfang eine perfekte himmlische Harmonie. Aus dieser perfekten Harmonie schert aber dann unvorhergesehen eine dieser geistigen Instanzen, die Weisheit – Sophia, aus. Und sie tut dies aus purer Neugier, weil sie so weit vom ursprünglichen Zentrum der geistigen Welt entfernt ist, dass sie einfach wissen will, wie es dort aussieht. Allerdings erzeugt sie damit eine Kettenreaktion, weil sie durch ihr Ausscheren aus der Harmonie etwas Unvollkommenes hervorbringt. Diese Kraft, die mit dem Namen Jaldabaoth bezeichnet wird, ist dann der eigentliche Schöpfer der uns bekannten Welt.

Die Welt ist in dieser Tradition somit Produkt eines unvorhergesehenen Unfalls, ausgelöst durch ein Störmanöver in einer an sich perfekten himmlischen Welt. Die Rettung der Welt kann nur geschehen, indem die ursprüngliche geistige Harmonie wiederhergestellt und die materielle Welt gleichsam aufgelöst wird. Der Mensch muss also nach Befreiung aus der Materie streben und seinen Sinn rein auf die geistige Welt richten, die er in seinem Inneren finden kann.

Musik:

„Yemenite pastoral“ von Lutz Elias
Label: Sonoton SAS 061