Heine und das römische Recht

Einer der größten deutschsprachigen Dichter des neunzehnten Jahrhunderts wurde mit der Juristerei so gar nicht glücklich: Heinrich Heine. Von seiner Mutter zum rechtswissenschaftlichen Studium gedrängt, schimpfte Heine in diversen Briefwechseln in einem fort über die Qualen der Materie, mit der er sich zu befassen hatte, allem voran dem römischen Recht.

Gedanken für den Tag 13.7.2019 zum Nachhören (bis 12.7.2020):

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Drei schöne Lebensjahre, schrieb er in seinen Memoiren, habe er mit dem Studium der römischen Kasuistik vergeudet. Zu einer Zeit, als ein großer Teil der Rechtstexte noch auf Latein verfasst war und die römische Jurisprudenz noch einen großen Stellenwert einnahm, schrieb Heine über die Römer: „Diese Räuber wollten ihren Raub sicherstellen, und was sie mit dem Schwert erbeuteten, suchten sie durch Gesetze zu schützen (...) und es entstand eine Mischung der widerwärtigsten Art.“

Daniel Zipfel
ist Schriftsteller und Jurist im Asylbereich

Nach mühsamen Jahren und einem Rausschmiss aus der Universität von Göttingen promovierte Heine schließlich doch, arbeitete allerdings nie in einem juristischen Beruf. Insbesondere die Advokaten, diese „Bratenwender der Gesetze“, wie Heine schrieb, waren ihm suspekt. Für Fragen der Gerechtigkeit interessierte er sich zeitlebens jedoch sehr wohl, setzte sich insbesondere mit der Frage der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren immer wieder auseinander.

Das Interesse am Menschen

Die Arbeitsweise des Juristen ist nicht jedermanns Sache. Die Subsumtion eines Sachverhalts, also das Einordnen von Geschehnissen in den Setzkasten des Rechts, ist in gewisser Weise ein Schubladisieren. Durch den Prozess des Objektivierens entzieht der Jurist seinem Gegenstand alles Subjektive, entfernt aus dem Sachverhalt jegliche emotionale Komponente menschlicher Empfindung, hebt alles auf eine rationale, unaufgeregte Ebene, um eben diesen Sachverhalt sezieren zu können. Ein Vorgang, der sich eine nüchterne Sachlichkeit zum Ziel setzt und zynisch anmutet, wenn über menschliches Leid verhandelt wird. Ein Vorgang der Entmenschlichung im schlimmsten Fall.

Gerade Schreibenden, die letzten Endes stets vom Menschen erzählen, von seinen Zwängen und seiner Größe, muss dieser abstrahierende Zugang verdächtig vorkommen. Doch letzten Endes dient das Recht mit all seiner Abstraktion und seinem Formalismus der Entfaltung des menschlichen Individuums, der Verwirklichung humanistischer Ideale von Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde.

Und ich wage dabei die Hypothese, dass es letzten Endes eine Voraussetzung gibt, die sowohl einen guten Schriftsteller wie auch einen guten Juristen ausmacht: das Interesse am Menschen.

Musik:

Glenn Gould/Klavier: „Variatio 30 Quodlibet a 1 Clav.“ aus: Goldberg - Variationen BWV 988 „Aria mit 30 Veränderungen“ (aus Klavierübung Teil IV) von Johann Sebastian Bach
Label: SONY SMK 52594