Schule der Selbsterkenntnis

Elternschaft ist eine Beziehung größter Intensität, und wie jede intensive, nicht regionalisierte und eingegrenzte Beziehung konfrontiert sie mit den zentralen Polaritäten des eigenen Lebens: mit der Polarität von Macht und Ohnmacht, von Freude und Leid, von Nähe und Distanz, von Verantwortung und Scheitern vor Verantwortung.

Gedanken für den Tag 29.8.2019 zum Nachhören (bis 28.8.2020):

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Damit aber konfrontiert Elternschaft mit einem selbst, mit den Höhen und Abgründen der eigenen Existenz. Sie führt an wirkliche Grenzen. In den Reaktionen auf die eigenen Kinder entdeckt man sich wie in wenig anderen Begegnungen.

Höchste Freude und größtes Leid

Das Patriarchat wird dabei dann übrigens erkennbar als der männliche Versuch, diese Ambivalenz der Selbsterkenntnis zu umgehen. Es verlagert, zumindest im öffentlichen Bereich, die Doppeldeutigkeit der eigenen Existenz auf die Frau und die Kinder.

Rainer Bucher
ist katholischer Theologe

Gerade der Vater darf dann nicht schwach sein, außer vielleicht, ganz versteckt im Tagebuch. Das Patriarchat mutete dem Patriarchen etwas zu, nämlich stark, mächtig und gerecht zu sein, aber es mutet nicht das konkrete Kind zu.

Elternschaft konfrontiert mit den Polaritäten des Lebens, zentral mit der Polarität von höchster Freude und größtem Leid, von Sorge und Glück – und wie man in all dem besteht.

Mit anderen Worten: Elternschaft ist eine einzige Schule der Selbsterkenntnis und sie lehrt Ehrlichkeit und Tapferkeit. Es ist anstrengend, aber nur gut und gerecht, dass sich auch Väter dieser Konfrontation immer weniger entziehen können. Denn sie ist pures, dichtes, volles Leben.

Musik:

Branford Marsalis/Sopransaxophon und English Chamber Orchestra unter der Leitung von Andrew Litton: „Arabesque Nr. 1 in E-Dur“ von Claude Debussy, Bearbeitung für Saxophon und Orchester von Michel Colombier
Label: CBS MK 42122