Sehnsucht nach der zweckfreien Fantasie

Im Anfang war die Nachtigall oder: Was Heinrich Heine mich für die Denkmalpflege lehrte.

Gedanken für den Tag 17.9.2019 zum Nachhören (bis 16.9.2020):

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Gebäude erhalten polarisiert. Das hat mir der Brand von Notre Dame de Paris und die anschließenden teils sehr polemischen Diskussionen deutlich gemacht. Es wurde um das Alte und um das Neue gestritten, aber auch um die großen Summen, die Menschen bereit waren für den Wiederaufbau auszugeben.

Elena Holzhausen
ist Diözesankonservatorin der Erzdiözese Wien

Erbe für die nächste Generation

Ich verstand die Polemik, dennoch liebe ich diesen Bau. Es ist ein nicht zu lösendes Dilemma. Und was hat das alles mit Heinrich Heine zu tun? Heine dichtet in paradoxen Aussagen. Seine Nachtigall, sie jubelt so traurig und sie schluchzet so froh. Dieser vor 222 Jahren geborene Dichter und Vordenker polemisierte gegen die Romantik, dennoch wusste er um die Notwendigkeit, zweckfreie Kunst in dieser Welt zu haben und natürlich, diese zu schaffen. Er polemisierte gegen die Religion, vertraute aber in seinem letzten Lebensabschnitt auf die Barmherzigkeit eines allmächtigen und liebenden Gottes. Das Eintauchen in Heines Welt hilft mir, die Polarität zu verstehen, die mir begegnet, in der ich stehe und handle.

Zauber und Ironie sind bei ihm ineinander verwoben, sie wechseln einander ab. Es bleibt aber immer die Sehnsucht nach der zweckfreien Fantasie. Um die Kunst anderer zu erhalten, braucht es die Liebe zu dieser Fantasie. Als Werkzeug der Denkmalpflege reicht sie aber nicht aus. Ich muss wie Heine die eigene Zeitgebundenheit verstehen, um die Kunst und Architektur anderer gut zu erhalten. Wie kein anderer erkannte und benannte Heinrich Heine die Kraft der Huldigung des historischen Erbes. Er sah die Gefahr einer nationalen Vereinnahmung der Vergangenheit. Er warnte vor einer Vereinnahmung, die nicht alle Menschen im Blick hatte, sondern die Anhäufung von Macht als Selbstzweck. Meine Aufgabe ist es, so zu erhalten, dass unterschiedliche Deutungen der Vergangenheit differenziert möglich sind, und dass das Erbe offen an die nächste Generation weitergegeben wird.

Musik:

Lettischer Rundfunkchor und Rigas Kamermuziki unter der Leitung von Richard Harvey: „De profundis / Katharina von Bora“ aus: LUTHER / Original Filmmusik von Richard Harvey
Label: BMG Ariola 82876568702