Im Dialog mit der Kunst

Zum 50. Todestag von Marko Rothko: Mark Rothko hat sich in seiner Kunst aller Dinge entledigt. Letztlich sind nur Farbflächen geblieben. Mitunter ist die große Fläche monochrom. Meistens sind Farbflächen in eine sie umfangende Farbfläche eingebettet. Die Ränder sind unscharf. Die Farbe hat etwas Vibrierendes.

Gedanken für den Tag 24.2.2020 zum Nachhören (bis 23.2.2021):

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Es ist, als käme mir etwas entgegen, als erginge ein Ruf an mich. Die Bilder sind von stiller Leidenschaft erfüllt und eröffnen das Tor zu einem Wunder. Sie lehren mich, das bereits Verlorene, das Verworfene neu zu entdecken. Mit einem Mal wird die Welt reich. Sie teilt sich mit.

Das Wunder ist nahe

Wie komme ich heute in die Nähe des Wunders? Wie komme ich in die Nähe der Dinge, wo ihre Ursprünglichkeit offenbar wird, das ganz und gar nicht Selbstverständliche ihrer Gegenwart? Wie komme ich dahin, dass mich die Dinge wieder berühren, dass ich an den Rand eines Geheimnisses gerate, staunend hautnah zum Wunder?

Gustav Schörghofer
ist Jesuit und Künstlerseelsorger

Wir sind übersättigt, vollgestopft mit Eindrücken, vollgestopft mit Bedürfnissen und dauernd bedrängt von all dem, was diese Bedürfnisse befriedigen soll. Um uns herum lagern sich immer mehr Dinge ab, nicht mehr Gebrauchtes, nicht mehr Interessantes, nicht mehr Verwendbares. Wir verbrauchen Welt und Menschen. Die Erinnerung an Vergangenes gleicht einer Müllhalde, einem Berg von Abfall.

Die Nähe zum Wunder muss ich wollen. Ich muss lernen, dass das Wunder nicht in Zukunft zu entdecken ist, sondern in all dem, was ich als Verbrauchtes hinter mir gelassen habe. Mit dem Blick auf Vergangenes kann ich entdecken, dass mich das Wunder schon immer begleitet hat, dass ich ihm immer schon nahe war. Ich kaue das trockene Brot der verworfenen Dinge und entdecke den Geschmack des Geheimnisses. Ich kaue das trockene Brot der schlichten Gesten, der hilflos scheinenden Zuwendung, der kleinen Worte. Ich kaue das trockene Brot all der schlechten Erfahrungen, der mir zugemuteten Gemeinheit, der erlittenen Ungerechtigkeit.

Und ich entdecke, dass mich all das weit mehr in die Nähe des Wunders geführt hat als die Annehmlichkeiten eines mit Begehrenswertem vollgestopften Lebens. Das Wunder ist nahe. Um es hautnah zu verspüren, muss ich mich allerdings meiner Habseligkeit entledigen. Das kann in der Kunst von Mark Rothko erfahren werden.

Musik:

Glenn Gould/Klavier und Jaime Laredo/Violine: „Adagio - 4. Satz“ aus: Sonate für Violine und Cembalo Nr. 6 in G-Dur BWV 1019 von Johann Sebastian Bach
Label: CBS M2K 42414