Bilder von anderen Kulturen

Bilder von anderen Kulturen sind überaus widersprüchlich. Sie sind starr und fixiert, sie sind aber zugleich überaus fragil. Auch das Bild der östlichen Nachbarn Europas hat sich im Verlauf der Jahrhunderte verändert. In Goethes Bild Persiens, Arabiens und des Islam dominiert indes eine Offenheit, in die der Geist der Aufklärung von der nachfolgenden Romantik durchdrungen ist.

Gedanken für den Tag 21.4.2020 zum Nachhören (bis 20.4.2021):

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Wer sich mit dem westlichen Bild jenes tatsächlich in gewisser Weise von ihm geschaffenen Orient beschäftigt, dem stechen die widersprüchlichen Aussagen über „den Orient“ ins Auge. Auf der einen Seite halten sich manche Stereotype überaus hartnäckig, auf der anderen Seite haben Philosophen der Aufklärung sowie Dichter und Denker des romantischen Zeitalters, zum Teil bewundernd über die östlichen Kulturen geschrieben.

Wolfgang Müller-Funk
ist Literaturwissenschaftler

Dichterischer Wettstreit

Goethes West-östlicher Divan ist nur das bekannteste Beispiel. Wie Mohammed, über den sich Goethe wiederholt positiv äußert, begibt sich der deutsche Dichterfürst auf eine fiktive Reise, die in der Welt der Buchstaben, im Kosmos der Literatur stattfindet: War es beim Propheten die Flucht von Mekka nach Medina, so flieht das lyrische Ich Goethes literarisch-virtuell aus Europa anno 1814 in den Orient. Es maskiert sich als Reisender und Händler, der fremde Ware aus dem Osten in den heimischen Westen bringt:

Nord und West und Süd zersplittern,
Throne bersten, Reiche zittern,
Flüchte du, im reinen Osten
Patriarchenluft zu kosten,
Unter Lieben, Trinken, Singen,
soll dich Chisers Quell verjüngen.

Chiser ist in der Gedichtsammlung „Der Divan“ des persischen Dichters Hadsche Schamsu´d-din Muhammad (genannt Hafis, ca. 1324 - 1388) der Hüter der Quelle des Lebens. Dieser Wächter gestattet dem Dichter, von dieser Quelle zu trinken, die ihm unsterblichen Ruhm verheißt. Auch der westliche Dichter möchte davon trinken. Mit dem persischen Vorbild tritt er dabei in einen dichterischen Wettstreit auf Augenhöhe ein:

Hafis mit dir, mit dir allein/ Will ich wetteifern! Lust und Pein /Sey uns den Zwillingen gemein!

Buchhinweise:

  • Johann Wolfgang von Goethe, „West-oestlicher Divan“, dtv
  • Hafis, Johann Christoph Bürgel, „Gedichte aus dem Diwan“, Verlag Reclam

Musik:

Hakan Güngör: „Taksim“ (Improvisation: Kanun)
Label: Alia Vox AVSA 9870