Begegnungen

Goethes „West-östlicher Divan“ ist ein Werk der Begegnung: mit dem persischen Dichter Hafis und mit dem österreichischen Gelehrten Josef von Hammer-Purgstall. Aber es gibt noch eine dritte Person, die in seiner orientalischen Gedichtsammlung überaus präsent ist. Und das ist eine Frau.

Gedanken für den Tag 25.4.2020 zum Nachhören (24.4.2021):

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Die dritte Mitwirkende an Goethes „Divan“ ist nämlich Maria Anna Katharina Theresia von Willemer, die eigenhändig an Goethes Werk mitgewirkt hat, sie ist vermutlich in Linz geboren, uneheliche Tochter einer Schauspielerin, die es nach Frankfurt verschlagen hat; Anna wird Adoptivtochter, Geliebte und schließlich Ehefrau des mit Goethe bekannten Bankiers Johann Jakob Willemer.

Wolfgang Müller-Funk
ist Literaturwissenschaftler

Eine unmögliche Liebe

Am 4. August 1814 trifft die junge, damals Dreißigjährige zum ersten Mal den schon 65-jährigen ‚Dichterfürsten‘. Daraus entspinnt sich eine unmögliche Liebe, die in die orientalische Dichtung verschoben wird. Sie bildet das Herzstück von Goethes orientalischem Werk. Was in der Realität wegen des Altersunterschieds, aber auch wegen der Tatsache, dass beide verheiratet sind, verwehrt bleibt, wird im dichterischen Versteckspiel genossen: „Ich will küssen! Küssen! Sagt´ ich.“ Das lyrische Ich tauft die Geliebte, deren „Locken“ ihn „gefangen halten“, Suleika. Sich selbst gibt er den Namen eines vorislamischen unscheinbaren Arabers namens Hatem. Daraus entsteht ein lyrisches Duett, wobei einige Strophen von der romantisch-unerreichbaren Geliebten selbst verfasst sind; Goethe hat diese unter der Hand in sein Opus einbezogen, so auch die folgenden Verse Suleikas:

Ach! Die wahre Herzenskunde,
Liebeshauch, erfrischtes Leben
Wird mir nur aus seinem Munde,
Kann mir nur sein Athem geben.

Goethe hat der Geliebten das Gedicht „Gingo biloba“ mitsamt einer Zeichnung des zweilappigen Blattes als Zeichen seiner Liebe und Verbundenheit geschickt:

Bist Du von deiner Geliebten getrennt
Wie Orient vom Occident,
Das Herz durch alle Wüste rennt,
Es gibt sich überall selbst das Geleit,
Für Liebende ist Bagdad nicht weit.

Buchhinweise:

  • Johann Wolfgang von Goethe, „West-oestlicher Divan“, dtv
  • Hafis, Johann Christoph Bürgel, „Gedichte aus dem Diwan“, Verlag Reclam

Musik:

Orchestre Bernard Thomas und Ensemble Vocal Patrick Marco: „Ouverture“ aus: LE CALIFE DE BAGDAD / Opera comique in einem Akt / Gesamtaufnahme von Francois Adrien Boieldieu und Saint Just D’ Aucourt
Label: Thesis THC 82015