Die Geburt der Venus

Es gibt wenige Kunstwerke auf der Welt, die es auf eine Geldmünze geschafft haben. Sandro Botticellis „Geburt der Venus“ ist eines davon. Der Kopf seiner nackten Schönheit mit den langen lockigen Haaren prangt auf der italienischen 10-Cent-Münze.

Gedanken für den Tag 22.5.2020 zum Nachhören (bis 21.5.2021):

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

„Die Geburt der Venus“ gehört zu jenen Klassikern der Kunstgeschichte, über die man als Kunstwissenschaftlerin kaum mehr zu sprechen wagt, so allseits bekannt erscheinen sie. Schließlich hat sich sogar die Popikone Lady Gaga vor einigen Jahren in ein Kleid mit Motiven von Botticellis Venus-Bild gehüllt, um ein neues Album zu promoten.

Mich reizt es, gerade bei solch abgefeierten Werken genauer hinzusehen und herauszufinden, warum ein Gemälde, eine Skulptur zu einem Fixpunkt des kollektiven Gedächtnisses einer Gesellschaft geworden ist.

Sinnlichkeit der sichtbaren Welt

Das Figureninventar des nahezu 2,80 Meter breiten Leinwandgemäldes ist schnell beschrieben. Im Zentrum prangt in einer großen Muschel die nackte Venus. Sie blickt lächelnd verträumt aus dem Bild, ihr goldblondes Haar flattert im Wind. Vom Windgott Zephyr und seiner Begleiterin, der Brise, wird sie an Land getrieben. Eine junge Frau in einem hellen Kleid mit Blumendekor, meist gedeutet als antike Hore, nimmt sie in Empfang. Herausragend ist dieses Bild, weil Botticelli hier als erster Maler seit der Antike eine lebensgroße nackte Frau in einer nicht christlichen Darstellung zeigt.

Johanna Schwanberg
ist Direktorin des Dom Museum Wien

Kunst überzeugt allerdings nie ausschließlich wegen ihrer innovativen Motive. Mindestens genauso wichtig für den Erfolg ist eine unverkennbare Formensprache – also der kreative Umgang mit Farben, Formen, Linien und Flächen.

Botticellis „Geburt der Venus“ wurde für die artifizielle Darstellungsweise mit dem intensiven Einsatz von Gold gleichermaßen vergöttert wie kritisiert. So erscheint die Meereskulisse hinter der Muschelfrau wenig tiefenräumlich, beinahe wie eine dekorative Tapete.

Botticelli hat mit seiner plakativen Ästhetik vieles vorweggenommen, was erst Jahrhunderte später wieder in Mode kam, nicht umsonst haben sich die Pop-Art-Künstler und die Werbeästhetik für ihn begeistert.

Mir gefällt Botticellis Bekenntnis zur Sinnlichkeit der sichtbaren Welt. Besonders fasziniert mich aber die Unbeirrbarkeit, mit der er seinen eigenen Weg ging, allem Anschein nach ungeachtet dessen, was andere über ihn dachten.

Musik:

Emily Van Evera/Sopran, Nancy Hadden/Flöte, Erin Headley/Viola da gamba, Lirone, Christopher Wilson/Laute, Gitarre, Robert Meunier/Laute und Riccardo Delfino/Doppelharfe: „Romanesca“ von Alonso Mudarra
Label: DHM 88875081102 / Sony music