„ich klebe an gott“

Zum 20. Todestag von Ernst Jandl: 20 Jahre werden es kommende Woche, dass Ernst Jandl gestorben ist. Ich kann es nicht glauben, denn noch immer arbeiten seine Gedichte in mir und ich höre seine Stimme. Und wenn ich nahe dem ORF-Funkhaus durch die Wohllebengasse gehe, denke ich an das lange Gespräch, das ich gut zwei Jahre vor seinem Tod mit ihm führen konnte.

Gedanken für den Tag 2.6.2020 zum Nachhören (bis 1.6.2021):

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Jandls Dekonstruktion von Wörtern und Phrasen, sein spielerisches Vertauschen von Buchstaben und Silben hat mich immer fasziniert. Katholisch sozialisiert wie ich nun einmal bin, hat es mich besonders angezogen, wenn Jandl religiöses Sprachmaterial witzig und demaskierend zu montieren wusste. Lange habe ich in diesen Texten nur religionskritische Ironie gelesen – bis ein Satz Jandls alles in Frage stellte: „wir sind christen, ein wort, das man heute wieder aussprechen darf“, heißt es in seiner „rede an friederike mayröcker“ aus dem Jahr 1994. Dieser ungebrochene Behauptungssatz machte mir schlagartig bewusst, dass Jandls Parodien religiöser Formeln auch Zeugnis einer intensiven Nähe sind. Über diese Spannung wollte ich mit Ernst Jandl sprechen, und so kam es zu einem der intensivsten Gespräche, die ich jemals über den intimen Bereich des Religiösen geführt habe.

Cornelius Hell
ist Literaturkritiker und Übersetzer

Zuversicht, Freude, Einsamkeit

Mir gegenüber saß ein Mensch von radikaler und schonungsloser Offenheit – schonungslos vor allem sich selbst gegenüber. Ein vom Leben geschundener Mensch ohne jedes Selbstmitleid, der keine Position verteidigte, sondern unbeirrt nachdachte – in seinen Gedichten wie im Gespräch über diese Gedichte. Noch immer habe ich Ernst Jandls feste Stimme im Ohr, aber auch sein schweres Atmen. Er war nicht mehr der Gesündeste, was aber weder seine große Konzentration beim Gespräch noch seine herzliche Zugewandtheit bei einem Glas Wein beeinträchtigte.

Verzweiflung und Zuversicht, Freude über die öffentliche Anerkennung und Signale der Einsamkeit – Ernst Jandl machte daraus nicht jene wohltemperierte Mischung, auf der gutbürgerliche Umgänglichkeit und Verbindlichkeit beruhen; er wich den extremen Erfahrungen nicht aus. In seiner Kunst hat er sie ebenso spontan wie genau kalkuliert verarbeitet. Im Leben hat er sie tapfer durchgestanden, bis am 9. Juni 2000 sein Herz nicht mehr mitmachte.

Musik:

NDR Big - Band unter der Leitung von Dieter Glawischnig: „Caravan“ von Duke Ellington und Juan Tizol, bearbeitet von Joki Freund
Label: ACT 92332