Juristen und Schriftsteller

Wer die Frage stellt, welcher Schriftsteller einen juristischen Beruf ausgeübt hat, wird am ehesten zur Antwort bekommen: Franz Kafka. Dessen Tätigkeit bei der böhmischen Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt in der Habsburgermonarchie ist hinlänglich bekannt.

Gedanken für den Tag 9.7.2019 zum Nachhören (bis 8.7.2020):

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Zahlreiche literaturwissenschaftliche Arbeiten erforschen den Zusammenhang von Kafkas Arbeit als Versicherungsbeamter und seinem schriftstellerischen Wirken. So war er fast zehn Jahre lang täglich damit befasst, sich mit dem Gefahrenrisiko von Maschinen für Industriearbeiter auseinanderzusetzen, mit der zunehmenden Bürokratisierung sowie der Frage, inwieweit eben diese Bürokratie sowohl Industriearbeitern als auch Betriebsinhabern ihre Rechte verwehrte.

Daniel Zipfel
ist Schriftsteller und Jurist im Asylbereich

Grundrechte im Rechtsstaat

In einer berühmten Parabel erzählt Kafka von einem Türhüter, einer finsteren Gestalt mit tatarischem Schnurrbart, welcher den Zugang zum Gesetz bewacht. Ein Mann, der furchtsam darum bittet, den Eintritt gewährt zu bekommen, wird auf einen Schemel verwiesen und wartet den Rest seines Lebens vor dem Tor. Erst am Ende der Parabel erklärt der Türhüter, der Mann hätte jederzeit einfach hineingehen können. Es wäre sein Recht gewesen.

Kafkas Parabel wurde auf verschiedene Weise interpretiert. Am zutreffendsten erscheint mir jene Interpretation, dass es hier tatsächlich um den Zugang zum Recht geht, was heutzutage unter anderem mit den Begriffen „Effektivität des Rechtsschutzes“ oder „Zugang zu einem fairen Verfahren“ umschrieben wird.

Ich finde es bemerkenswert, dass im politischen Diskurs stets alle Seiten betonen, für das Funktionieren des Rechtstaats einzustehen. Dabei ist es beruhigend, dass es immerhin diesen Konsens zum Rechtstaat zu geben scheint. Beunruhigend ist hingegen, dass der Begriff offenbar so variabel verstanden wird. Man darf schließlich nicht vergessen, dass sich der Rechtstaat dadurch definiert, dass er durchwirkt ist von unteilbaren Grundrechten, aufgebaut auf dem Fundament der Menschenwürde, das für alle gilt. Daran möchte man all jene erinnern, die im Namen des Rechtsstaats den Zugang zu diesem beschränken, dem Türhüter in Kafkas Parabel gleich, der meint, das Gesetz behüten zu müssen.

Musik:

Glenn Gould/Klavier: „Variatio 13 a 2 Clav.“ aus: Goldberg - Variationen BWV 988 „Aria mit 30 Veränderungen“ (aus Klavierübung Teil IV) von Johann Sebastian Bach
Label: SONY SMK 52594