Verborgenes

Familie kann alles sein: ein Ort der Liebe, der Geborgenheit und der Solidarität, aber ebenso ein Ort der Gewalt, der Machtausübung und des Missbrauchs. Familie kann Wunschtraum und Alptraum zugleich sein.

Gedanken für den Tag 9.9.2019 zum Nachhören (bis 8.9.2020):

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Seit über 2000 Jahren liefern Familien Stoff für Tragödien wie Komödien gleichermaßen. Ob in Literatur, Oper, Theater oder Film, ob in Vergangenheit oder Gegenwart, die Familie ist in den verschiedensten Kunstformen allgegenwärtig.

Auch die bildende Kunst hat seit jeher Familiendramen und Familienfreuden festgehalten: in Gemälden, Skulpturen und Grafiken – später vor allem auch in Fotografien und Videos.

Johanna Schwanberg
ist Direktorin des Dom Museum Wien

Auf den zweiten Blick

Vor Erfindung der Fotografie dienten Bilder vor allem dazu, eine Familie stolz zu präsentieren. Besonders eindrucksvoll zeigt dies eine Ölskizze Angelika Kauffmanns aus den Liechtenstein’schen Sammlungen. Der Entwurf für ein großes dynastisches Gruppenbild entstand in den Achtzigerjahren des 18. Jahrhunderts. Es zeigt Maria Karolina, eine Tochter Maria Theresias, und ihren Mann Ferdinand III. von Sizilien. Sie werden uns, von sechs ihrer Kinder umgeben, in einer bukolischen Parklandschaft vor Augen gestellt. Insgesamt brachte Maria Karolina 18 Kinder zur Welt und übertraf damit noch ihre Mutter.

Angelika Kauffmann, Modello für das Gruppenbild der königlichen Familie von Neapel, 1782/83 Liechtenstein

The Princely Collections, Vaduz-Vienna

Angelika Kauffmann, Modello für das Gruppenbild der königlichen Familie von Neapel, 1782/83 Liechtenstein

Ich freue mich, dass wir dieses besondere, lebendig gemalte Familienporträt in unserer kommenden Ausstellung „Family Matters“ im Dom Museum Wien zeigen dürfen. Nicht nur, weil es eines der wenigen königlichen Familienbildnisse der Kunstgeschichte ist, das von einer Frau gemalt wurde, sondern auch, weil es mich aufgrund eines kleinen, versteckten Details tief berührt. Inmitten der Kinderschar befindet sich ein Kinderwagen, in dem zunächst nur ein Tuch zu sehen ist. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckt man unter dem Schleier ein weiteres Kind durchschimmern. Es dürfte sich um ein während des Malprozesses verstorbenes oder totgeborenes Kind handeln, das von Kauffmann übermalt wurde.

Kunst lehrt mich, genau hinzuschauen. Denn sie kann verbergen und zugleich enthüllen. Und sie macht gerade in Zusammenhang mit dem Thema Familie eines deutlich: Das, was emotional in Familien wirklich vor sich geht, spiegelt sich nicht an der Oberfläche. Es wird oft erst auf den zweiten Blick sichtbar.

Link:

Dom Museum Wien: Family Matters

Musik:

Klaus Peter Riemer/Flöte und Ernst Sell/Hammerflügel: „Menuett - 3. Satz“ aus: Serenade für Flöte und Hammerflügel in B-Dur / nach dem Divertimento KV 439b Nr. 4 für 2 Bassetthörner oder Klarinetten und Fagott von Wolfgang Amadeus Mozart
Label: Sound Star Ton SST 30189