Spiegel

Über die Bedeutung von Spiegeln ist schon viel philosophiert und geschrieben worden. Monsignore Ernst Pöschl, der als katholischer Priester auch Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, betreut, hat dazu so seine eigenen Gedanken.

Morgengedanken 28.1.2015 zum Nachhören:

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Vor einigen Jahren habe ich die Aufgabe eines Gefangenenhausseelsorgers erhalten. Als ich vor ein paar Wochen einen jungen Gefangenen besuchte, wurde mir als Priester der Raum zugewiesen, in dem sonst die Tischbesuche mit Gefangenen vorgesehen sind. Was mir aufgefallen ist: Über die ganze Wand in diesem Raum war ein Spiegel angebracht. Ich dachte zuerst, es könnte sein, damit der Raum größer ausschaut.

Monsignore Ernst Pöschl
ist Geistlicher Assistent der Katholischen Arbeitnehmerbewegung in der Diözese Eisenstadt und Gefangenenseelsorger

Augen voller Licht

Man hat mich dann informiert. Auf der einen Seite ist es der Spiegel. Vom Nachbarraum aus können die Beamten, ohne von den Besuchern und Gefangenen gesehen zu werden, durchsehen. Es ist verständlich, dass auf diese Weise für Ordnung gesorgt wird.

Sie werden vielleicht überrascht sein, dass mir dazu ein ganz, ganz anderer Gedanke gekommen ist. Zum Tod seiner Mutter, der Hl. Monika schrieb der Hl. Augustinus: „Unsere Verstorbenen sind nicht abwesend, sondern unsichtbar. Sie schauen mit ihren Augen voller Licht in unsere Augen voller Traurigkeit.“ Diese Gedanken bedeuten für mich: Hier, wo wir leben, ist sozusagen der Spiegel, in dem wir uns nur selber sehen können. Auf der anderen Seite des Spiegels sind unsere lieben Verstorbenen, die uns sehen können. Sie sind nicht weit von uns entfernt, sondern nahe und dürfen mit ihren Augen voller Licht in unsere Augen voller Traurigkeit schauen. Ist dies nicht ein sehr tröstlicher Gedanke?