Der Baum und die Eule

Um Veränderungen geht es diese Woche in den Morgengedanken: Heute einmal so - und morgen ganz anders? Leben wir wirklich in einer Welt, in der jeder alles werden kann?

Morgengedanken 19.4.2016 zum Nachhören:

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Eines schönen Morgens, als der Baum erwachte, sich dehnte und streckte, bis in die Wurzelspitzen hinein und bis ins letzte Ästchen, und die Frühlingssonne warm auf ihn schien, da dachte er sich: Was werde ich anziehen, welche Blätter nehme ich heute? Und er überlegte: Wie wäre es mit den runden Blättern, so wie sie die Buche da drüben trägt? Oder mit den gelappten der Eiche? Oder mit den zart gesägten der Birke? Oder mit den gespitzten Blättern des Ahorn? Oder gar mit den fein gefächerten Wedeln der Akazie?

Helmut Schriffl
ist Diakon aus Münchendorf im Bezirk Mödling in Niederösterreich

„Vielleicht werde ich mich ändern“

Da der Baum sich nicht entscheiden konnte, wandte er sich fragend an die alte Eule, die tagsüber immer versteckt in einem Winkel seines mächtigen Geästes saß: „Was meinst du, Eule, welche Blätter soll ich heute nehmen?“ Und er zählte die Möglichkeiten der ausgedachten Blättergarderobe auf. Die alte Eule drehte den Kopf einmal herum, schüttelte sich und sagte geduldig zum Baum: „Aber Baum, du glaubst doch selber nicht, dass du dich ändern kannst! Du weißt doch genau so gut wie ich, dass du heute und morgen und auch an den folgenden Tagen immer wieder die Blätter tragen wirst, die du immer schon getragen hast. Das wäre doch ein Wunder, wenn du plötzlich mit anderen Blättern da stehen würdest. Keiner könnte dann noch erkennen, wer du bist. Das geht einfach nicht!“

Es trat eine Zeit des Schweigens ein. Dann meinte der Baum widerspenstig: „Aber vielleicht werde ich mich eines Tages doch noch ändern und andere Blätter tragen.“