Grauhaarige Teenager

„Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“ – hat einst Udo Jürgens gesungen. Dass es auch mit knapp 100 noch lange nicht zu Ende sein muss, davon erzählt Christian Herret in seinen Morgengedanken.

Morgengedanken 18.1.2017 zum Nachhören:

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Patricks Frau Rosa ist vorigen Sommer gestorben. Sie wurde 101 Jahre alt. Seitdem ist Patrick – im 98. Lebensjahr - nicht mehr der Alte. Davon hat er sich nicht erholt, und wird es auch nicht mehr. Das alles erzählt mir seine Nachbarin Maria, während ihre Pflegerin Tee nachschenkt. Obwohl selbst eine Frau in den 90ern, erzählt sie mit Witz und Charme von ihren Mitbewohnern im Altersheim.

Christian Herret
ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit der Dreikönigsaktion, des Hilfswerks der Katholischen Jungschar

Hohelied der Liebe

Sie ist ja früher nur ungern rübergegangen. Patrick und Rosa, die zwei waren schon was ganz Besonderes. Einen fürchterlichen Weltkrieg und wer weiß noch was für andere schwere Zeiten haben die beiden miteinander erlebt. Sie waren über 70 Jahre verheiratet. Er am Ende blind, sie taub. Aber die ganze Zeit waren die Beiden am turteln. Das kann man sich nicht vorstellen, erzählt uns Maria und lächelt, wenn sie sich daran erinnert. Die haben keine Sekunde die Finger voneinander lassen können. Haben sich ständig berühren müssen. Und die ganze Zeit fast unverschämt miteinander geflirtet. Und sie ist daneben gesessen und hat den – so sagt sie – grauhaarigen Teenagern - zuschauen müssen. Der Neid hat sie dabei immer gefressen, weil sie ja selber schon so lange Witwe ist und niemand mehr zum Kuscheln hat, erzählt sie und wieder huscht ihr dabei ein - längst vergangenen Zeiten gewidmetes - Lächeln übers Gesicht. Die Bewunderung für Patrick und Rosa spricht aus jedem ihrer Worte.

Während ich Maria lausche, denk ich mir: Es muss ein erfülltes Leben sein, wenn noch im Altersheim auf deine Liebe ein derartiges Hohelied angestimmt wird.